: Am langen Schwanz der Literatur
Das Kölner Festival lit.cologne geht in die siebte Runde. Zwischen Rheinschifffahrt und dem „kulinarischen Quartett“, zu dem sich Kritiker Dennis Scheck mit Kochstar Vincent Klink, Schwärmer Frank Schätzing und Humoristin Katja Lange-Müller trifft, kommt dabei eins leider ein wenig zu kurz: die Literatur
VON CHRISTIAN WERTHSCHULTEVON
Sich literaturbeflissen zu zeigen, ist leicht in Köln in diesen Tagen. Man braucht dazu vor allem eine Stofftüte mit dem Logo einer regionalen Buchhandelskette, die jeder Besucher der diesjährigen lit.cologne geschenkt bekommt und die das Stadtbild zwischen Heu- und Neumarkt dominiert.
Die lit.cologne setzt auch in ihrem siebten Jahr auf Masse. 138 Veranstaltungen sollen die Zuschauerzahl von 55.000 im letzten Jahr noch weiter erhöhen. Dazu beitragen sollen vor allem die „inszenierten Geschichten“, wie Festivalleiter Rainer Osnowski die zahlreichen Events bezeichnet, die nur am Rande das Verhältnis zwischen Autor, Werk und LeserInnen berühren. ARD-Kritiker Dennis Scheck trifft sich mit Kochstar Vincent Klink, Schwärmer Frank Schätzing und Humoristin Katja Lange-Müller zum „kulinarischen Quartett“, während Dieter Hildebrandt der „Geschichte der Lüge“ gemeinsam mit Roger Willemsen auf den Grund gehen will. Letzterer äußerte sich bereits im Vorfeld mit vollmundigem Lob über die Veranstaltung: „Die Stadt literarisiert sich.“
Die Literaturwerdung bedeutet zunächst breites Sponsoring der privatwirtschaftlich organisierten lit.cologne. Der örtliche Energiekonzern Rheinenergie ist mit der Stiftung des Schokoladenfabrikanten Imhoff (Stollwerck) der Hauptsponsor und auch die Kölner Medienlandschaft übt sich in Unterstützung. Wohlwollende Berichterstattung findet sich sowohl in den Zeitungen des Monopolisten DuMont (Express, Stadt-Anzeiger, Kölnische Rundschau) als auch beim Mitveranstalter WDR, der mit seinem 24-stündigen Literaturmarathon zum Thema „Unterwelt“ bei seinem Publikum die Barthes’sche ‚Jouissance‘, das erregende Gefühl des Lesevergnügens, um ein beschwingtes Gähnen ergänzen dürfte.
Der viel beschworene Kölner Klüngel ist dabei auch für Mediendesinteressierte nicht zu übersehen, und er funktioniert folgendermaßen: Bei der Vorstellung des Tagebuchs von Anna Politkowskaja (DuMont) beklagt Günter Wallraff (WDR-Hörspiel), dass der „Völkermord“ in Tschetschenien „nur in einigen Zeitschriften oder in Fernsehmagazinen wie z. B. ‚Monitor‘ “ auf Resonanz stoßen würde. Ein als harsche Medienschelte verpacktes Kompliment an die Kollegin Sonja Mikich (WDR-Fernsehen), die das Podium leitet – so kuschelt man am Rhein, und so richtig scheint es niemanden zu stören.
Genervt von dem „internationalen Buchstabierwettbewerb“ der lit.cologne zeigen sich dann auch nur die Initiatoren des parallel stattfindenden Festivals „Little Cologne“, bei dem an drei Abenden das Lesevergnügen am Rande des Existenzminimums erforscht werden soll. Immerhin 12 Euro im Durchschnitt kosten die Karten für die 120 Minuten dauernden Veranstaltungen, was das Publikum aber offenbar nicht schreckt. Schon zu Beginn des Festivals waren 80 Prozent der Karten verkauft, selbst ein Schwarzmarkt für Veranstaltungskarten hat sich etabliert.
Dabei zeigt sich bei der lit.cologne das aus dem Web 2.0 bekannte Phänomen des „long tail“. Nicht nur die Lesungen der internationalen Literaturstars von Donna Leon über Henning Mankell bis zu Jonathan Franzen sind erwartungsgemäß ausverkauft, auch bei den kleineren Veranstaltungen sind die Eintrittskarten rar. Nur bei den Shootingstars der „jeunesse dorée“, bei Dietmar Daths und Daniel Richters Konversation über „Exakte Blödheit“, fielen ein paar Lücken im Publikum auf. Er sei an dem Zustand der „Blödheit durch ein Zuviel“ interessiert, verkündete der Malerstar Richter und monologisierte zum Beweis erst einmal zehn Minuten über den Konflikt von der Idee eines Kunstwerks und deren Einlösung im Werk selbst. Dath beschränkte sich auf die Rolle des Stichwortgebers und begründete die gebrochene Form seiner Romane mit seinem Misstrauen gegenüber den tradierten Erzählformen der viktorianischen Literatur und des Journalismus. Schnell waren sich die beiden einig, dass die Kulturkritik ihre Gegenstände mit gleichwertiger Sorgfalt zu behandeln habe, und hatten damit auch gleich ein Statement zum gesamten Festival geliefert. Dath und Richter machen das Material zum Gegenstand ihrer Kunst, eine Übersetzung auf das Podium erscheint da nur bedingt möglich, wie Richter zum Abschluss passend erkannte: „Wir haben versucht, uns lang zu fassen, aber es hat nicht funktioniert.“