piwik no script img

Archiv-Artikel

Geteilte Welt

SEXARBEIT Zwei Jahre lang beschäftigte sich die Fotografin Tanja Birkner mit der Prostitution im Hamburger Stadtteil St. Georg. Ihre Arbeit „Halbe Stunde“ kombiniert Fotos und Texte und erzählt von Armutsprostitution ebenso wie von selbstbewussten SexarbeiterInnen

„Oft stand ich irgendwo mit meinem gesamten Equipment und die Person, mit der ich fest verabredet war, tauchte nicht auf“

TANJA BIRKNER

VON FRANK KEIL

„Früher konnte ich mich auch mal ausruhen, aber jetzt muss ich immer stehen und gucken, ob die Polizei kommt“, gibt Faghira, die in Hamburg-St. Georg in einem Stundenhotel arbeitet, zu Protokoll. Faghira heißt nicht Faghira, sie ist 23 Jahre alt, sie kommt aus Bulgarien, sie hat keine Papiere, und sie wohnt auch in dem Stundenhotel, was sie 40 Euro am Tag kostet. Und sie sagt: „Ich finde diese Arbeit nicht gut, aber ich weiß keine andere.“

Faghira zeigt sich dazu im Halbprofil, lange Haare sind zu sehen; eine Hand, die eine Zigarette hält. Und dann steht sie da, in voller Größe, das Gesicht abgewandt, auf einem Spielplatz in der Danziger Straße, es muss mindestens Winter sein, die Bäume tragen keinerlei Laub. Auch ihr Arbeitsplatz ist zu sehen: ein quadratisches Bett, ein rotes Laken mit weißem Überwurf, dazu eine Pappschachtel mit Papiertaschentüchern.

Das Projekt „Halbe Stunde – Sexarbeit in St. Georg“ der Hamburger Fotografin und Fotografiedozentin Tanja Birkner besteht aus Fotos und Texten, die jeweils zusammen präsentiert werden. In den Texten erzählen die gezeigten Personen in der Ich-Form aus ihrem Leben. Ausgestellt werden Fotos und Texte derzeit in der Hamburger Galerie im Georgshof.

Der Betrachter und Leser lernt beispielsweise den obdachlosen Daniel kennen, der die Alsterfontäne mag und der am Hansaplatz steht und Sorge hat, dass die Polizei auftaucht und ihm ein Strafgeld von 220 Euro aufbrummt. Johanna Weber berichtet von ihrem Berufsweg von der Escortbegleiterin zur Domina. Helmut Gärtner, Inhaber des Thomaskellers, erklärt, was „Slumming machen“ ist: Man geht aus dem soliden, akzeptierten Café Gnosa rüber in eine Kellerspelunke am Hansaplatz und findet es cool, mal bei den Underdogs Astra aus der Flasche zu trinken – ein Besuch im Slum, sozusagen.

Gärtner zeigt sich auf den Fotos in aller Offenheit am Tresen seiner Bar, während Katarina aus Rumänien ihr Gesicht hinter einer Kapuze versteckt: Ihre Familie weiß nicht, was sie hier in Deutschland arbeitet. Also heißt sie auch anders. Neben Rumänisch spricht sie Türkisch, Spanisch, Italienisch, Französisch und jetzt Deutsch. Die einen müssen sich verstecken, andere können sich zeigen – die Welt rund um den Hansaplatz ist zweigeteilt.

Alle Fotos und Protokolle wurden am Ende in Absprache mit den Porträtierten ausgewählt und in deren Sinne ergänzt oder verändert. In einem Fall musste der Text auf ein Viertel der ursprünglichen Länge gekürzt werden: „Die Situation dieses Menschen war in der Zwischenzeit so brisant geworden, das vieles nicht mehr öffentlich erzählt werden konnte“, sagt Birkner.

In Hamburg-St. Georg gilt ein Kontaktverbot für Freier, nachdem Freier eine Geldstrafe von bis zu 5.000 Euro bekommen können, wenn sie bei Preisverhandlungen mit Prostituierten erwischt werden. Ferner können Prostituierte durch eine Sperrgebietsverordnung mit Bußgeldern belegt werden. Ob die beiden Maßnahmen hilfreich sind oder nicht, ist höchst umstritten. Zu einem Ende der Prostitution in St. Georg haben sie jedenfalls nicht geführt.

Für Birkners Projekt bedeutet die Situation in St. Georg, dass ihre Berichte notwendigerweise Austragungsort von Zensur und Selbstzensur sind. Wie sieht sie nun selbst die Sphäre der Prostitution, besonders die der Armutsprostitution? „Am Anfang dachte ich auch durchaus, man muss es verbieten, damit es verschwindet. Aber wenn du dich dann mit den Menschen dort zum Gespräch triffst und irgendwohin fliehen musst, merkst du, wie stressig das für sie ist. Dann merkst du, dass es das nicht sein kann. Die Menschen, die dort arbeiten, haben es so schon so schwer genug.“

Da ist es gut, dass die Bilder nun gezeigt werden, und dafür hat Birkner die Galerie der Alfred-Töpfer-Stiftung gewinnen können, die neben der Hamburger Landeszentrale für politische Bildung die Kosten für die Prints und die abgedruckten Texte übernommen hat. „Ich hätte die Arbeit auch in einer kleinen Galerie in St. Georg ausstellen können, wo dann alle aufgeklärten Menschen hingehen, die ohnehin Bescheid wissen“, sagt Birkner. Nun aber wechselt sie auf die andere, die gewissermaßen hanseatische Seite schräg gegenüber dem Hamburger Hauptbahnhof, wo sich die Läden mit den absurd hohen Preisen befinden und nicht selten entsprechende Luxuskarossen die Straßen füllen.

Unumwunden gibt Tanja Birkner zu, dass es Momente gab, in denen sie nicht mehr vom Gelingen des am Ende zweijährigen Projektes überzeugt war; dass sie längere Pausen eingelegt hat und danach Schwierigkeiten hatte, wieder mit der Intensität in die WeltSt. Georgs einzutauchen, die so eine Unternehmung verlangt.

Oft wollten die Treffen, die ihr die in St. Georg tätigen sozialen Träger „Ragazza“ und „Basis Woge“ vermittelt hatten, nicht klappen: „Wie oft stand ich irgendwo mit meinem gesamten Equipment und die Person, mit der ich fest verabredet war, tauchte nicht auf.“ Dazu gesellte sich anfangs die Befürchtung, Kollegen aus dem Mediengeschäft könnten schneller sein, schließlich ist Prostitution ein Thema, mit dem sich fix Zeitungsseiten füllen lassen und das gefühlt jeden zweiten „Tatort“ und die darauffolgende Anne-Will-Show beherrscht: „Es war manchmal schwer zu verkraften, wenn in der Süddeutschen Zeitung oder der taz die nächste Strecke dazu auftauchte. Aber ich habe bald gemerkt, dass niemand sich mit der Intensität mit dem Thema beschäftigt, wie ich das tue.“

Gestoßen ist sie auf das Thema bereits als Jugendliche: Sie lebte in Lübeck und sah dort die Frauen am Hafen stehen. „Ich habe mich gefragt: ,Was ist das? Was passiert da?‘ Und: ,Was haben diese Frauen wohl für eine Geschichte zu erzählen?‘“

Heute hat sie einige gehört, hat exemplarische Einblicke in die Szene gewonnen: „Es ist nicht immer schlimm und es ist auch überhaupt nicht immer toll, sondern es geht von Armutsprostitution, die manchmal schwer auszuhalten ist, bis zu Frauen und Männern, wo ich heute sage: Es ist für sie genau der richtige Job.“

Als nächstes schweben Tanja Birkner eher leichte Themen vor, die sie nicht für Jahre packen. Aber ihre Spezialität ist eigentlich das intensive Abtauchen in fremde Sphären: Im Jahr 2004 porträtierte sie junge Muslima mit und ohne Kopftuch; vier Jahre später zeigte sie in der Serie „Xpac“ junge Migranten, die nach traumatischen Fluchten Unterschlupf in Hamburg gefunden hatten und von der Flüchtlingsambulanz des Universitätskrankenhauses Eppendorf betreut wurden.

Zuletzt widmete sie sich in ihrer Studie „Kleine Freiheit“ der weitaus interessanteren Nachbarstraße der „Große Freiheit“ mit ihrem durchaus fragilem Nebeneinander von traditionellem Kleingewerbe und den neuen Studios der jungen Kreativen: Projekte, mit denen sich meist wenig bis gar kein Geld verdienen lässt.

Birkner sagt: „Irgendwann taucht bestimmt das nächste Thema auf, das mir am Herzen liegt, das einen den Horizont erweitert, wo man zu sich sagt: ‚Das machst du nicht, das machst du auf keinen Fall!‘ – Und dann macht man es doch.“

„Halbe Stunde“: bis 24. Oktober, Galerie im Georgshof, Georgsplatz 10, Hamburg; das Buch zur Ausstellung kostet 25 Euro und ist zu bestellen unter: info@tanjabirkner.de Podiumsgespräch zum Prostitutionsgesetz u.a. mit Ragazza und der Koordinierungsstelle gegen Frauenhandel: 18. September, 19 Uhr, Galerie im Georgshof