Streit um Krippenplätze

Schleswig-Holsteins Familienministerin Erdsiek-Rave bezweifelt die Zielzahlen der Bundesministerin von der Leyen. Kita-Verband beklagt fehlende Genehmigungen für Krippen

VON KAIJA KUTTER

Am 2. April werden sich die Familienminister des Bundes und der Länder über den Bedarf an Krippenplätzen austauschen. Die Schätzungen sind unsicher. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD) sagte im Vorwege den Lübecker Nachrichten, das Ziel von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) , 35 Prozent der unter Dreijährigen ab 2013 zu versorgen, sei zwar „wünschenswert“. Ob der Bedarf aber tatsächlich so hoch ist, sei aber „zur Zeit nicht erkennbar“. Einer Umfrage zufolge halte ein Teil der Kommunen dieses Angebot für bedarfsgerecht. Schleswig-Holstein hat bloß für 7,6 Prozent der Kinder einen Krippenplatz.

„Wir haben keine Bedarfsanalyse vorliegen“, sagt Erdsiek-Raves Sprecherin Patricia Zimnik. Es sei schwierig, solide Zahlen zu bekommen, weil es eine Variable gebe: „Es geht um Krippenplätze für Kinder, die erst noch geboren werden.“ Die Aussage der Ministerin stütze sich auf eine Umfrage bei Trägern, ob sie „überbordende Anmeldelisten“ hätten.

Martina Castello vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, der in Schleswig-Holstein rund 200 Kitas vertritt, „weiß nichts von so einer Umfrage“. Die Träger bemühten sich, den Krippenausbau voranzutreiben, sagt die Fachreferentin. „Es werden ihnen von den Kommunen aber Steine in den Weg gelegt“, sagt sie. Bei Wartelisten müsse jede neue Krippengruppe von den Kommunen genehmigt werden, was nur „teils teils“ geschehe. Castello: „Manche sagen, ‚Nö, machen wir nicht‘. Das kostet Geld.“

Anders wäre dies bei einem „nachfrageorientierten“ Kita-System, wie es Hamburg seit drei Jahren hat. Nicht die Zahl der Plätze, sondern die Kostenübernahme pro Kind wird dort bewilligt. Die Eltern erhalten einen Gutschein, den sie bei der Kita einlösen können. In Hamburg hat dies zum Ausbau der Krippen geführt. Vorzug eines solchen Systems, sei, so Castello, dass Kitas bei schrumpfenden Kinderzahlen Krippenkinder aufnehmen und so Standorte mit kurzen Wegen sichern könnten.

Das Hamburger Gutscheinsystem stand allerdings auch in der Kritik, weil es bei der Einführung 2003 Pannen gab und es teurer wurde als geplant. Auch führte eine strenge Bewilligungspraxis dazu, dass nur noch Kinder von Berufstätigen Krippenplätze bekamen. „Das Gutscheinsystem ist für uns keine Option“, sagt Zimnik. „Zumal es in Hamburg nicht gut funktioniert.“ Das Zusammenspiel von Land und Kommunen bei der Finanzierung sei dafür zu kompliziert. Und auch im Nachbarland Niedersachsen, das bei nur 9,3 Prozent Krippenversorgungsgrad Aufholbedarf hat, ist ein Gutscheinsystem „kein Diskussionspunkt“, wie Ministeriumssprecher Georg Weßling sagt.

Anders sieht das die grüne Hamburger Bundestagsabgeordnete Krista Sager. Sie hat schon im Herbst das Modell einer bundesweiten „Kinderbetreuungskarte“ vorgelegt, mit der es gelingen soll, sogar 40 Prozent der ein- bis zweijährigen Kinder einen Krippenplatz zu bieten, und zwar unabhängig davon, ob die Eltern arbeiten. Durch eine Umwandlung des Ehegattensplittings würde sie fünf Milliarden Euro frei machen, die zur Hälfte über ein „Geldleistungsgesetz“ vom Bund in die Betreuung der Kinder flössen. Sager: „Das wäre wie beim Wohngeld juristisch möglich.“

Voraussetzung sei aber, dass es einen Kita-Rechtsanspruch ab dem ersten Lebensjahr gebe. „Auch von der Leyen müsste den jetzt fordern“, sagt die Grüne. So aber würden deren Widersacher versuchen, durch „Rumtricksen bei der Bedarfsermittlung“ die Pläne „klein zu kochen“.