Spätaussiedlerin klagt mit Erfolg

In Polen erstreitet eine deutsche Klägerin erstmals vor Gericht die Rückgabe ihres ehemaligen Grundstückes. Jetzt wächst die Angst vor einer Prozesslawine

WARSCHAU taz ■ „Dreißig Jahre haben wir hier gewohnt und nun sollen wir einfach weg!“, schimpft eine Rentnerin im polnischen Fernsehen. Ein Reporterteam ist ins masurische Dorf Narty südlich von Olsztyn (dt. Allenstein) gefahren und hat die kranke Frau in ihrem einfachen Häuschen besucht. Vor der Kamera ringt die Frau die Hände und weiß nicht, was sie tun soll.

Das Grundstück, auf dem ihr Häuschen steht, so hat kürzlich ein polnisches Gericht entschieden, gehört einer Agnes Trawny. 60 Hektar Wald, ein Zweifamilienhaus sowie Wiesen, auf denen inzwischen mehrere Ferienhäuschen stehen, hat die Spätaussiedlerin Trawny nach einem vierjährigen Rechtsstreit von den polnischen Gerichten zugesprochen bekommen.

Dies ist ein Präzedenzfall, der in ganz Polen Schule machen könnte. Allein in seiner Gemeinde stünden heute 30 ähnlich gelagerte Gerichtsfälle an, erzählt der Gemeindepräsident. In der ganzen Wojewodschaft Warmia i Mazury sollen es mindestens noch einmal so viele sein. Rund 150.000 Spätaussiedler haben laut Schätzungen des polnischen Europaparlamentsabgeordneten Boguslaw Rogalski die Masuren verlassen. Um ausreisen zu können, wurden die meisten von den kommunistischen Behörden gezwungen, auf den polnischen Pass sowie ihre Besitztümer in Polen zu verzichten. Land und Höfe gingen für gewöhnlich in Staatsbesitz über; doch bei den neuen Grundbucheinträgen wurden von den Behörden oft Fehler gemacht. Dies betraf vor allem die erste Welle der Spätaussiedler, die Polen in den 60er-Jahren verließen. In den 70er-Jahren konnten viele ihren Pass behalten, was ihnen heute den Kampf um ihre ehemaligen Besitztümer erleichtert.

Agnes Trawny, die neue Landbesitzerin von Narty, etwa, konnte erst 1977 in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen. Nach der Wende besuchte sie ihren Heimatort bei Olsztyn immer wieder als Urlauberin. Dass sie nach einer Wiedererlangung ihres einstigen Besitzes trachtete, können viele der heutigen Dorfbewohner nicht verwinden. In Deutschland habe sie es doch viel besser gehabt als jene, die nicht ausreisen konnten, heißt es in dem Dorf. Den zwei betroffenen Familien hat das Gericht eine Schonfrist bis Ende 2008 zugesprochen. Spätestens dann müssen die Rentner das Haus räumen.

Ähnliches könnte jenen Ferienhausbesitzern blühen, die auf Land gebaut haben, das heute Agnes Trawny gehört. Tadeusz Zgodzinski, der sein Haus vor elf Jahren ausgebaut und sich in Narty niedergelassen hat, hofft, das Land weiter von der neuen Besitzerin pachten zu können.

„Die Regierung kann den Kopf nicht länger in den Sand stecken“, schimpft Rogalski, der Europaabgeordnete aus den Masuren. In Warschau beraten die Kaczyński-Zwillinge stattdessen, wie man die chancenlose Anrufung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs durch die Preussische Treuhand propagandistisch am besten ausschlachten kann. PAUL FLÜCKIGER