Remonstrierende Polizisten

POLIZEI Wie oft Beamte remonstrierend Einwände gegen eine Weisung haben, wird nicht gezählt

„Eine Remonstration kriegt so gut wie keiner mit“

KERSTIN PHILIPP, GDP

Die Frage war kurz, die Antwort auch. „Wie oft und aus welchen Gründen haben Berliner Polizist*innen seit 2005 remonstriert“, wollte der Piraten-Abgeordnete Christopher Lauer von Frank Henkel (CDU) wissen. „Bei der Polizei Berlin werden Remonstrationen der Beschäftigten statistisch nicht erfasst“, antwortete der Innensenator und oberste Dienstherr der Polizei auf die schriftliche Anfrage, die vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde. So weit, so wenig erkenntnisfördernd.

Nach den Vorschriften des Beamtenrechts müssen BeamtInnen ihre dienstlichen Handlungen zuvor auf deren Rechtmäßigkeit prüfen. Haben sie Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit einer Anweisung ihrer Vorgesetzten, müssen sie diese gegenüber ihren Chefs äußern. Diese Einwände nennt man Remonstration. Nur so können sich die BeamtInnen im Ernstfall vor Disziplinarmaßnahmen oder Schadenersatzforderungen schützen.

Henkels Antwort wirkt zunächst wie die Ausflucht vor einer unbequemen Frage: Inhaltlich indes dürfte sie korrekt sein. Remonstrationen erfolgen in der Regel mündlich. Wie so etwas aussehen kann, erklärt ein Kriminalbeamter, der nicht namentlich genannt werden will: Auf eine mündliche Remonstration gegenüber einer Maßnahme, die er für rechtswidrig hielt, habe ihm sein Vorgesetzter geantwortet, es werde so gemacht wie angeordnet. Diese Weisung wollte der Beamte daraufhin schriftlich haben, worauf der Vorgesetzte einknickte und erklärte, man könne es eventuell ja auch anders machen. Damit hatte sich die schriftliche Bestätigung – und die Remonstration – erledigt. Legt sich ein Vorgesetzter – etwa zur eigenen Absicherung – keinen Vermerk über den Vorfall in die Schreibtischschublade, ist die Remonstration damit nicht mehr erfassbar.

Ohnehin ist sie im Beamtenalltag eine nur selten genutzte Möglichkeit. Zumeist befürchten potenzielle RemonstrantInnen, als Querulanten abgestempelt zu werden und dadurch Beförderungsnachteile zu erleiden. Auch intern wird ungern darüber gesprochen, bestätigt Kerstin Philipp, die Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP). „Eine Remonstration kriegt so gut wie keiner mit.“

Da kann es dann nicht verwundern, dass vom Mittel der schriftlichen Remonstration noch seltener Gebrauch gemacht wird. So sind Philipp während ihrer 15-jährigen Dienstzeit davon lediglich drei bekannt geworden. Und was geschieht damit? „Schriftliche Remonstrationen werden durch die bearbeitende Dienststelle dem entsprechenden Sachvorgang vor Ort beigefügt. Es gelten die für den Gesamtvorgang gültigen Aufbewahrungsfristen“, heißt es bei der Polizei. Übersetzt bedeutet das: Ist ein Fall abgeschlossen und landet im Archiv, befindet sich auch die Remonstration dort.

Dennoch gibt es – wenngleich wenige – Beispiele für größere Remonstrationsvorgänge. Etwa als sich bei der Einführung der Kennzeichnungspflicht 2011 zahlreiche Schutzpolizisten gegen das Tragen eines Namens oder einer Nummer per Remonstration wehrten. Die Polizeibehörde reagierte darauf mit einer Geschäftsanweisung, die der taz vorliegt. Man habe den Fall rechtlich geprüft und festgestellt, dass im „vorliegenden Fall kein Remonstrationsrecht besteht, weil es sich nicht um eine angeordnete, nach außen gerichtete Diensthandlung, sondern um eine interne Weisung handelt“.

Remonstration hin oder her: Wird sie vom Dienstvorgesetzten oder der Behörde verworfen, so ist eine erteilte Anweisung zunächst einmal von den BeamtInnen auszuführen. Alles andere regelt sich später – notfalls gerichtlich.

Die GdP-Landesvorsitzende Kerstin Philipp hält das Remonstrationsrecht denn zwar grundsätzlich für sinnvoll, verweist dann aber resigniert auf den Unterschied zwischen Theorie und Praxis.

Der Abgeordnete Christopher Lauer will auf taz-Nachfrage an das Thema nach der parlamentarischen Sommerpause „systematischer angehen“. Viel Erfolg dürfte ihm dabei nicht beschieden sein. OTTO DIEDERICHS