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Archiv-Artikel

Renitenter Mainstream

Selbst im Iran hat es die Filmzensur nicht mehr ganz so leicht. Überall sind internationale DVD-Schwarzkopien erhältlich. Daher setzt die iranische Komödie jetzt neue Standards

Revolutionswächter werden verprügelt und Transen sowie Schwule konterkarieren den verordneten martialischen Machismo

VON AMIN FARZANEFAR

Das Kinoplakat mit dem fetten Schriftzug „Wet Dreams“ (Feuchte Träume) hat man in Teheran nicht unbedingt erwartet. Die Zensur hat den Titel wohl nur passieren lassen, weil man nicht wusste, was er bedeutet. Die No-go-Areas im iranischen Film sind momentan besonders klar definiert. Allerdings war vieles schon immer Auslegungssache – ein Spielraum, den bisher das erfolgreiche Arthouse-Kino mit seiner Symbolsprache für sich zu nutzen wusste. Zurzeit wagt sich jedoch das kommerzielle Kino am weitesten hinein in die Grauzone. In einer restriktiven Gesellschaft, die Doppelmoral und Korruption hervorbringt, in der privates und öffentliches Verhalten oft konträr zueinander verlaufen, blüht das Genre der Verwechslungskomödie.

Der Klamaukhit des letzten Jahres – Saman Moghaddams „Maxx“ – erzählt von einem jener drittklassigen Popmusiker, wie sie in der „Tehrangeles“ genannten Exilgemeinde von L.A. zuhauf anzutreffen sind. Maxx wird anstelle eines berühmten gleichnamigen Symphonikers in die Islamische Republik geladen und sorgt dort mit naiver Lässigkeit und unorthodoxen Konzertauftritten für Verwirrung. „Sham-e Aroosi/Wedding Bankett“ (Ebrahim Vahidzadeh) zeigt einen Mikrokosmos schrulliger Charaktere, in dessen Zentrum zwei bankrotte Schwiegerväter auf schwerreich machen, um sich gegenseitig eine fette Mitgift aus der Tasche zu ziehen.

Während der Hyperaktionismus des cholerischen Hauptdarstellers an Louis-de-Funès-Klamotten erinnert, ist „Atash Bas/Cease Fire“ an klassische Hollywoodkomödien angelehnt: Da verwechselt eine junge Frau die Tür zum Scheidungsanwalt mit einer Therapiepraxis und lässt in Rückblenden die Beziehung Revue passieren, bis der eifersüchtige Gatte in der Türe steht und auch auf der Couch landet. Regisseurin Tamineh Milani, gerne als „Feministin“ verunglimpft, hat den harten Geschlechterdualismus ihrer früheren Melodramen („Two Women“, „The Hidden Half“) mit ungewohnt viel Humor umgesetzt und prompt den erfolgreichsten Film der letzten fünf Jahre gemacht.

Dieser quirlige Mainstream ist kaum ohne Schwund über Kulturgrenzen hinweg zu übertragen. Den Iranern bieten seine Kapriolen bitter nötige Fluchtwelten: Da werden Revolutionswächter verprügelt, Beamte und Geistliche erscheinen als genauso bigott, wie man sie im Alltag erlebt, Transvestiten und Schwule konterkarieren den verordneten martialischen Machismo – und „Maxx“ wird zwischenzeitlich zum Videoclip, in dem ein Rapper die Isolation und Frustration der städtischen Jugend beklagt.

Ohne staatliche Abmahnung geht das allerdings nicht: Das Drehbuch von „Maxx“ etwa wurde an insgesamt 150 Stellen beanstandet. Dass solche Schelmengeschichten überhaupt zugelassen werden, mag zum einen an der Ventilfunktion liegen, die man einer Gesellschaft am Rande des Nervenzusammenbruchs zugestehen muss, zum anderen an einer dramaturgischen Volte: Der Läuterung des närrischen Helden, welcher nach mancherlei Posse am Ende seine Maskerade bereut und ins Kollektiv zurückkehrt. Außerdem werden subversive Ausbrüche gerne durch eine wertkonservative Autorität kommentiert und abgemildert: So rät der Therapeut in „Cease Fire“ der zornigen jungen Gattin salbadernd zu mehr Duldsamkeit gegenüber den „von Natur aus wandlungsunfähigen“ Männern.

Diese scheint vonnöten: Zwar hatten Ahmadinedschad und sein neuer Kultusminister Saffar-Harandi nach Amtsantritt zugesichert, die errungenen Freiräume für Gesellschaft, Presse und Künste nicht einzuengen. Inzwischen aber haben die neuen Machthaber ein keuscheres Frauenbild im Kino eingefordert, die Lockerung der Zensurbestimmungen wieder rückgängig gemacht und die Filmemacher an ihre „iranische Identität“ erinnert.

Wie weit die Restauration fortgeschritten ist, konnte man Anfang Februar auf der 25. Ausgabe des Fajr-Film-Festivals überprüfen. Das Ereignis stand im Zeichen der „Defa-ye moghadass“, der „geheiligten Verteidigung“ – ein fast vergessenes Genre, das den Iran-Irak-Krieg als Gründungsmythos beschwört und an die „Märtyrer“ erinnert. Diese müssen noch jedes Mal herhalten, wenn es darum geht, eine verkommene, von Reformen zersetzte Gegenwart an den revolutionären Werten von einst zu messen. Nun ist der Irak kein Gegner mehr, und nach Krieg steht niemandem der Sinn. Daher fiel die ideologische Mobilmachung versöhnlich, ja zahnlos aus. In Filmen wie „Night Bus“ verbrüdern sich früher oder später die gegnerischen Streitkräfte, sodass auf einer Pressekonferenz die Bemerkung fiel: „Bei solchen Kriegsfilmen will bald niemand mehr in den Krieg ziehen.“

Vor den Kinos allerdings finden sich endlose Schlangen wie eh und je, und bereits auf der Anfahrt kann man sich mit jedem Taxifahrer über das aktuelle Filmprogramm austauschen (ganz oben mit auf dem Themenkatalog: die inkompetente Regierung, die bevorstehende US-Invasion und die Luftverschmutzung). „Es stimmt, wir Iraner sind tatsächlich filmversessen – aber was bleibt uns übrig“, erzählt ein junger Cineast, der vor dem ausverkauften „Farhang-Cinema“ überzählige Karten anbietet. „Statt in die Disco zu gehen oder mit Freunden einen draufzumachen, können wir nur auf Filme warten, die irgendeine deutliche Botschaft enthalten.“

Vor allem zwei Titel machten während des diesjährigen Fajr-Festivals von sich reden – Filme, die nicht zu der verordneten „iranischen Identität“ passen wollen. „Mainline“ (dessen persischer Titel „Khoon-Bazi = Blood Play“ aussagekräftiger ist) porträtiert ein junges Junkie-Mädchen (Baran Kowsari) aus dem gehobenen Mittelstand, hin und her gerissen zwischen der Suche nach dem nächsten Schuss und der Sehnsucht nach einem intakten Elternhaus. Regisseurin Rakhshan Bani-Etemad heftet sich mit der Handkamera an ein Einzelschicksal und meint doch eine ganze Generation. Die 52-Jährige löste vor sechs Jahren mit „Under the Skin of the City“ eine ganze Welle ästhetisch herausragender Filme aus, die offen die Schattenseiten der Islamischen Republik thematisierten: die Korruption und Heuchelei unter den Machthabern, eine durch ständiges Lügen verrottete Moral, ein sich ausbreitender Nihilismus unter der Jugend und eine ständig steigende Anzahl von Aidskranken und Heroinsüchtigen.

Die Droge steht auch im Zentrum von „Santoori“, einem Musikerporträt, das erst nach langem Hin und Her vom Ershad-Ministerium freigegeben wurde. Dariush Mehrjui ist wohl der wichtigste Veteran des iranischen Kinos; sein surreal eingefärbtes Sozialdrama „Die Kuh“ (1969), noch aus der Shahära, soll Chomeini nach der Revolution überzeugt haben, die suspekte Filmkunst als moralische Anstalt zu begreifen und als revolutionäres Instrument zu fördern.

Mehrjuis neuster Film erzählt nun von der Sehnsucht einer ganzen Gesellschaft nach Entgrenzung. „Santoori“ verpasst, an der Nadel hängend, seine große Liebe und seine Karriere. So, wie Ali der Musiker von ganz oben nach ganz unten fällt, verbinden sich in seiner Figur auch der reiche Teheraner Norden und die bettelarme Downtown – ein Anliegen, das eigentlich ganz oben auf der Agenda der Revolution stand. „Santoori“ hat die Relevanz und die epische Kraft eines Epochenporträts – und arbeitet visuell mit zeitlosen Referenzen: der zottelbärtige, zugedröhnte, in einen Bademantel gehüllte Ali (Bahman Radan) evoziert Erinnerungen an Jim Morrison aus Oliver Stones „The Doors“, aber auch an die Kurt-Cobain-Figur aus Gus Van Sants „Last Days“. Mehrjui soll darin auch einen Gutteil seiner eigenen Drogenkarriere verarbeiten, munkelt man. Dass er aus dem ursprünglichen Titel „Ali Santoori“ den Vornamen streichen musste, weil der an den Vetter des Propheten erinnern würde, klingt ebenso glaubwürdig wie lächerlich: Die Gründerfigur der Schiiten gehört zur Ikonografie des iranischen Kinos wie die Messiasfigur zu „Terminator“, „Matrix“ und „Herr der Ringe“.

Dass Cannes und auch die Berlinale keinen einzigen iranischen Film eingeladen hatten, deutet man gerne politisch. Aber zugegebenermaßen hat der iranische Arthouse-Film momentan einen schwierigen Stand: Mohsen Makhmalbaf, lange Zeit der profilierteste iranische Regisseur, hat sich mit seinem Familienbetrieb nach Frankreich zurückgezogen und dreht außerhalb des Iran: in Afghanistan, Tadschikistan, Indien. Und Cannes-Sieger Abbas Kiarostami hat sich momentan mit „Ten“, „Five“ und „The Road“ für einen verspielten, aber zunehmend abstrakteren Formalismus entschieden.

Insgesamt aber könnte die Zensurbehörde in Zukunft trotz der angezogenen offiziellen Gängelung Schwierigkeiten bekommen, sich zu behaupten. Wer sein Bild vom Iran revidieren will, sollte als Erstes einen DVD-Laden ansteuern, wo „Letters of Iwo Jima“ und „Rocky Balboa“ neben „Das Leben der Anderen“ als Schwarzpressung ausliegen, noch bevor sie hier überhaupt im Kino laufen. Trotz der allgemeinen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Depression hat der Strom enthusiastischer Filmschaffender eher noch zugenommen: VCD-Kopien, das Internet und eine Digitaltechnologie für die Westentasche ermöglichen eine schwer zu kontrollierende Produktion: Die Zahl der Kurz- und Dokumentarfilme wächst – von Geschlechtsumwandlungen über die Rockmusikszene in entlegenen Provinzen bis hin zum neuen Teheraner Chic der Nasenoperationen wird jedes Thema umgesetzt. Eines ist sicher: Sowenig sich auch bewegen mag im Iran – es geht weiter.