: Unter Zischlerinnen
Im Prozess um die verschwundene Karen Gaucke plädiert die Verteidigung auf Freispruch: Der angebliche Doppelmord sei nicht bewiesen
von KAI SCHÖNEBERG
Ohne Zischeln geht es nicht: Um acht Uhr in der Früh stehen sie vor dem Landgericht Schlange. Um neun dann, zu Beginn des 15. und wahrscheinlich vorletzten Prozesstages, raunen die meist reiferen Damen auf den Zuschauerrängen einander zu: „Gleich kommt er aus seinem Verließ!“ Michael P., der wegen Mordes an seiner ehemaligen Lebensgefährtin Karen Gaucke und der gemeinsamen sieben Monate alten Tochter Clara angeklagt ist, wird während des fast dreistündigen Plädoyers seiner Anwältin auch an diesem Tag wenig sagen. Nur, dass er sich „dem Plädoyer meiner Verteidigerin“ anschließe. Meist sitzt der 38-Jährige teilnahmslos auf der Anklagebank, manchmal fallen seine Augen zu und die Lider zittern leicht: Sekundenschlaf.
Das empört die Zischlerinnen. „Stumm wie ein Fisch“, sagen sie. Manchmal stöhnen sie auch vor Unmut auf, wenn Hela Rischmüller-Pörtner spricht: Die erfahrene Anwältin von Michael P. spricht in ihrer Verteidigungsrede auch über den „Voyerismus“. Und über die „Vorverurteilung“ durch die Medien. Über alle, denen längst klar ist, dass der Touristikmanager P. seine Familie am Abend des 15. Juni 2006 „heimtückisch“ ermordet hat. So zumindest hatte es Oberstaatsanwalt Thomas Klinge in der vergangenen Woche formuliert – und lebenslange Haft gefordert. Klinge sah eine „besondere Schwere der Schuld“, die eine Freilassung bereits nach 15 Jahren Haft ausschließt.
Ihr Mandant sei noch nicht verurteilt und werde doch als Mehrfachmörder „wie ein NS-Täter“ behandelt, sagt Rischmüller-Pörtner. Und: „Noch nie habe ich in so einer feindseligen Atmosphäre verteidigen müssen.“ Die Berichterstattung sei „gefährlich“ gewesen, habe das Verfahren und P. „belastet“. Natürlich plädiert die Anwältin dann auf Freispruch: Denn durch den Prozess sei „keinesfalls die für eine Verurteilung erforderliche Sicherheit erworben“ worden.
Tatsächlich sind die Vorwürfe gegen P. erdrückend: Motiv der Tat sei nicht nur ein Streit um Unterhalt gewesen. Karen Gaucke sei P. „einfach im Wege“ gewesen, hatte Oberstaatsanwalt Klinge gesagt, „sie hat ihn genervt, weil sie ihre Rechte wahrgenommen hat“. Es gehe um „eiskalten Mord“.
Zu den Blutspuren an den Schuhen des Angeklagten und im Kofferraum eines Autos, das P. für die Tat gemietet haben soll, äußert sich Verteidigerin Rischmüller-Pörtner an diesem Tag nicht. „Wir wissen noch nicht einmal, ob Karen und Clara Gaucke tot sind“, sagt sie stattdessen. Die Polizei durchkämmte Seen und Wälder, um Mutter und Kind zu finden – bislang erfolglos.
Also versucht die Anwältin, die Sicherheit der Indizien zu erschüttern. Die Gutachter hätten nicht „eindeutig“ bewiesen, dass die in der Küche der offenbar Ermordeten gefundenen großen Blutlachen zum Tod von Karen Gaucke hätten führen müssen. Keiner der vernommenen Zeugen habe in ihrer „sehr hellhörigen“ Wohnung in Hannover einen Leichentransport durchs Treppenhaus in das Mietauto bemerkt. Die roten Baumwollfasern in dem Toyota müssten nicht vom Paillettenkleid Gauckes stammen. Die Spuren seien erst gesichert worden, als bereits drei weitere Kunden das Fahrzeug genutzt hatten.
Rischmüller-Pörtner redet auch über ihren Mandanten. Ein neues Gutachten müsse seine Psyche beleuchten, fordert sie. Zeugen hätten ihn als „charmant“ und „zugänglich“ geschildert, durch drohenden Jobverlust und den Stress einer weiteren Partnerschaft mit neuem Baby habe er im vergangenen Sommer unter schweren Schlafstörungen gelitten. Eine dadurch entstandene „Affekthandlung“, die beim Urteil mildernd zu berücksichtigen wäre, sei zumindest nicht auszuschließen.
Das Gericht will am kommenden Dienstag das Urteil sprechen.