: Mehr Naturausgleich nach EU-Rüffel
Um die Umweltzerstörungen für die Airbus-Fabrik zu kompensieren, würde Hamburg jetzt sogar einen Deich zurückverlegen. Das hat der Senat jetzt der EU-Kommission angeboten, um einem drohenden Bußgeldbescheid aus Brüssel zu entgehen
VON GERNOT KNÖDLER
Der Hamburger Senat hat angeboten, den ökologischen Ausgleich für das zugeschüttete Mühlenberger Loch zu verbessern. Weil ihm wegen der Airbus-Erweiterung im Naturschutzgebiet ein Bußgeld aus Brüssel droht, hat er vorgeschlagen, den Elbdeich bei Haseldorf ins Landesinnere zu verlegen. Das zusätzliche Überschwemmungsgebiet soll Tieren und Pflanzen, die aus dem Mühlenberger Loch vertrieben wurden, eine Heimat bieten. Der bisherige Plan, an dieser Stelle nur ein großes Loch in den alten Deich zu bohren, wurde in mehreren Gerichtsentscheidungen verworfen.
Die Airbus-Fabrik im Naturschutzgebiet Mühlenberger Loch ist längst gebaut, die neue Werkshalbinsel für den Riesenairbus A 380 seit 2001 fertig, doch der gebotene Ausgleich lässt noch immer auf sich warten. Der Senat hat zwar eine andere Elbinsel zum großen Teil in ein Flachwassergebiet verwandeln lassen und anderswo schon mal Grundstücke gekauft. Ein großes Projekt aus dem Bündel der Kompensationsmaßnahmen liegt jedoch auf Eis: die Öffnung eines Teils der Haseldorfer Marsch für den Tideeinfluss.
Hier hatte der Senat eine Minimallösung geplant, die Konflikte mit den Leuten hinterm Deich ausschließen sollte: Die Elbe sollte mit Ebbe und Flut durch zwei große Röhren im Deich in das Gebiet schwappen. Naturschutzverbände, allen voran der BUND, erklärten das für unsinnig. Die Verwaltungsgerichte schlossen sich dem in mehreren Entscheidungen an. Im Hauptverfahren liegt die Sache zurzeit beim Oberverwaltungsgericht in Schleswig.
Zwei Löcher im Deich könnten das dahinter liegende Gebiet nicht wirklich zu einem neuen Süßwasserwatt machen, argumentierten die Naturschützer. Eisschollen, die ungeschütztes Gelände rasieren und Platz für seltene Arten schaffen, blieben draußen. Außerdem ist das Gebiet hinterm Deich schon heute ein europäisches Naturschutzgebiet. Es wäre unsinnig, ein Gebiet als Ausgleich durch ein anders geartetes zu ersetzen.
Dem ersten Argument versuchte der Senat jetzt mit seiner Stellungnahme im Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission zu begegnen. Wie Hartmut Wegener, der Geschäftsführer der für den Ausgleich zuständigen Realisierungsgesellschaft Rege, bestätigte, könnte sich der Senat eine Rückverlegung des Deichs vorstellen. Drei Kilometer des heutigen Elbdeichs würden abgerissen und dafür binnenwärts eine sechs Kilometer lange Ausbuchtung gebaut. Das Gelände davor könnte die Elbe nach Herzenslust überfluten. Ähnliche Gebiete sind an der Unterelbe rar.
Mit dem Vorschlag würden Wegener zufolge gut 400 statt nur 220 Hektar Gelände voll der Elbe ausgesetzt. „Das ist nach Meinung der EU qualitativ hochwertiger als ein Stillgewässer“, sagt Wegener. Der Stadtstaat würde sich das 60 statt 20 Millionen Euro kosten lassen. Den Bürgermeistern der anliegenden Gemeinden sei das Projekt bereits vorgestellt worden. Voraussetzung sei allerdings, dass die Naturschutzverbände bereit seien, über diesen Vorschlag zu verhandeln. „Wir wollen ein Mediationsverfahren machen“, sagt Wegener.
Nach Auskunft der Wirtschaftsbehörde hat der Senat bei den Verbänden vorgefühlt. Diese wollten aber nicht über den Vorschlag sprechen. „Hier liegt nichts offiziell vor“, sagt Manfred Braasch, Geschäftsführer des Hamburger BUND. Aus seiner Sicht nichts, worauf die Umweltschützer reagieren könnten.
„Auf Seiten der Verbände gibt es die Bereitschaft, über ein Gesamtkonzept Tideelbe zu sprechen, beim dem auch Rückdeichungen eine Rolle spielen sollten“, sagt Braasch. Diese Position decke sich zum Teil mit den Vorschlägen der Hamburg Port Authority. Diese Hafenbehörde sieht sich mit explodierenden Baggergutmengen konfrontiert, die sie unter anderem durch die Schaffung neuer Flachwasserzonen zu begrenzen sucht.
Ein Ausgleich in der Haseldorfer Marsch stößt bei den Umweltschützern allerdings auf grundsätzliche Bedenken. „Das Grundproblem ist, dass man die ganzen Kompensationsmaßnahmen in die Schutzgebiete packt“, sagt Braasch. Zu Ende gedacht hieße dies: Alles wird zugebaut, und dafür gibt es ein Superduper-Turbo-Schutzgebiet.