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Archiv-Artikel

„Ich spiele gern den Paranoiker“

INTERNET-TAGEBÜCHER Sven Regeners Blogs sind als Buch erschienen. Im Gespräch erzählt er, warum er bloggt – trotz Sorgen, peinlich zu wirken

Endless Stream of Laber: Sven Regeners Blogs

Sven Regener, 50, ist Musiker (Element of Crime), Schriftsteller („Herr Lehmann“ usw.) und seit 2005 – eher widerwilig – auch Blogger. Seine Internet-Tagebücher für Spiegel, Standard oder taz liegen nun gesammelt, ausdrücklich nicht nachbearbeitet, aber dafür mit vielen Fotos als Buch vor: „Meine Jahre mit Hamburg-Heiner – Logbücher“ (Galiani, Berlin 2011, 432 Seiten, 19,95 Euro) ist nicht nur unterhaltsam und mitunter hellsichtig, sondern für eine Blog-Sammlung auch überraschend stringent. Schuld daran: der virtuelle Hamburg-Heiner, mit dem Regener nahezu täglich anregende bis absurde Dialoge führt über Popsongtexte, Fußballlieder, Skippy, das Buschkänguruh, oder das Taktschema von „O Tannenbaum“, und so dem vom Autor selbst befürchteten „endless stream of laber“ eine Struktur verschafft. (to)

INTERVIEW THOMAS WINKLER

taz: Herr Regener, einer der ersten Blog-Einträge aus dem Buch vom 1. 10. 2005: „Bin, seit ich hier herumblogge, dümmer geworden.“ Nun, mehr als fünf Jahre und viele Blogs später: Wie doof sind Sie denn mittlerweile?

Sven Regener: Das ist natürlich kokett. Ich sehe den Blog-Begriff ja sehr eng: Das Logbuch wird nur dann geführt, wenn man mit dem Schiff auf hoher See ist. Das ist immer zeitlich begrenzt, aber dann muss man auch jeden Tag was raushauen. Das führt dann zu einer gewissen Koketterie: Man kokettiert mit seinem Unvermögen, mit den mangelnden Ideen und eben mit der eigenen Dummheit. Aber das ist ja auch okay, denn in der Kunst ist Klugheit kein Wert und Dummheit keine Schande. In der Kunst kann auch das Doofe gut sein.

Aber Angst hatten Sie schon vor der verblödenden Kraft des Bloggens?

Eher Angst vor der Angst vor der Peinlichkeit. Denn wenn man sich von der beherrschen lässt, würde man nur noch langweiliges, abgewogenes Zeug online stellen. Einerseits, andererseits – das funktioniert nicht im Blog. Man darf nicht versuchen, zu schlau sein zu wollen. Deshalb war die Dialogform für mich auch wichtig: dass ich mit meinem Über-Ich diskutieren konnte.

Das Über-Ich ist Ihre Figur namens Hamburg-Heiner, die jeden Tag anruft?

Ja, der nimmt diese Rolle ein. Der tadelt mich und sagt mir, ich soll die Faxen einstellen. Das ist schon gut, wenn man so eine Persönlichkeitsspaltung mal richtig ausleben kann.

Hamburg-Heiner geht also nicht auf eine real existierende Person zurück oder ist ein Amalgam aus verschiedenen Freunden?

Nein, gar nicht. Diese Dialoge sind alle ausgedacht, auch der biografische Hintergrund von Hamburg-Heiner, dass er mit mir zusammen studiert hat und der ganze Quatsch. Jetzt, beim Zusammenstellen der Blogs, war ich selbst überrascht, dass er bereits im ersten Blog, den ich überhaupt geschrieben habe, auftaucht, und gleich am dritten Tag. Aber ich musste Hamburg-Heiner wohl einführen, weil die Blog-Luft so schnell dünn geworden war. Ein Blog ist doch: Jemand erzählt seine Meinung zu diesem oder jenem. Das kann leicht fad werden. Am besten können so was Kolumnisten, und das ist auch okay, aber ich habe es immer abgelehnt, eine Kolumne zu schreiben. Aber jedes Mal, wenn ich so einen Blog-Job annehme, finde ich mich in dieser Rolle wieder und muss sehen, wie ich da halbwegs heil wieder rauskomme. So ein Gegenüber hilft da ungemein.

Ein Blog lebt nicht zuletzt ja von seiner Authentizität …

Ich lese wenige Blogs. Ich hatte auch einige Vorbehalte, aber die habe ich abgebaut, weil ich eine Form für mich gefunden habe, wie das für mich funktioniert. Ich habe da ein psychedelisches Verhältnis zur Realität. Natürlich greift man auf, was da auf Tour zum Beispiel passiert, aber dann verbiegt man die Realität, bis man selber nicht mehr weiß, was tatsächlich geschehen ist. Bei Joachim Lottmanns taz-Blog „Auf der Borderline nachts um halb eins“ finde ich das auch gut gemacht: das zeitweise und unbestimmte Ausbrechen aus der Realität.

Die Realität kehrt dann über die Kommentare der Leser wieder zurück.

„Ich glaube nicht an die sogenannte Interaktivität. Die ist ein Trugbild“

SVEN REGENER

Ich vermeide, die zu lesen. Ich kann mit den verschiedenen Meinungen nicht umgehen. Was soll mir das sagen, wenn mir jemand mitteilt: Was du schreibst, ist die letzte Kacke. Und auch wenn Leute es gut finden, dann können die dafür ganz andere Gründe haben als man selber. Wo soll man mit zehn verschiedenen Meinungen hin? Würde ich mir die zu Herzen nehmen, dann wüsste ich doch nicht mehr, was ich machen sollte. Mich lähmt so was. Ich will keine Interaktion. Ich will auch nicht nach einer Lesung mit den Leuten über das Buch diskutieren. Es gibt keine Möglichkeit, mich von außen zu beeinflussen in dem, was ich mache. Ich versuche auch gar nicht erst so zu tun, als wäre das so. Auch wenn jemand ganze Bücher schreiben würde über unsere Songs: Wir haben nur die, wir können keine anderen spielen. Und wenn die keiner mehr hören will, gehen wir eben nach Hause.

Nach mehr als 25 Jahren im Geschäft immer noch so dünnhäutig?

Ich bin nicht dünnhäutig, ich will mich dem nur nicht aussetzen. Es gibt da draußen die komische Idee, Künstler müssten sich das anhören, was die Konsumenten über ihre Kunst denken. Das war noch nie meine Auffassung. Es geht mich überhaupt nichts an, was die Leute über mein Lied oder mein Buch denken. Künstler sind keine Politiker, die etwas für ihre Wähler tun oder so. Wir machen es für die, die es mögen. Basta.

Geht da nicht ein ganz wesentlicher Teil des Bloggens verloren, wenn man die Interaktivität ablehnt?

Ich glaube nicht an diese sogenannte Interaktivität. Die ist ein Trugbild. Die findet nur in diesen kleinen, auf ein sehr spezielles Thema konzentrierten Zirkeln wirklich statt. Ansonsten, in größeren Zusammenhängen, kennt man die Leute doch gar nicht. Da fehlt der ganze Subtext – wie soll denn da Kommunikation entstehen? Das ist ein Ventil, das ist eine Scheinkommunikation, die nur auf Schlagwörter reagiert: Ich hab einmal „Genfood“ im taz-Blog verwendet, und prompt hatte ich doppelt so viele Kommentare wie sonst.

Warum lassen Sie dann nicht einfach die Kommentarfunktion deaktivieren?

Sollen sich die Leute doch untereinander unterhalten. Wenn denen das Spaß macht: gern! Das scheint mir auch ein wichtiger Aspekt bei den Kommentarspalten zu sein: Es sind getarnte Chat-Rooms.

Man hört immer mehr Geschichten, dass selbst Halbprominente von Stalkern verfolgt werden. Das scheint durchs Internet häufiger zu werden. Haben Sie da Probleme?

„Die Kommentare vermeide ich. Was soll mir das sagen, wenn jemand mitteilt: Was du schreibst, ist Kacke“

Selten. Man ist Projektionsfläche, das war schon immer so, egal ob man semiprominent ist oder richtig prominent. Mich erkennen die Leute zum Glück oft gar nicht und ich biete auch nicht viel Angriffsfläche, weil ich ein soziophober Mensch bin. Ich gebe keine Signierstunden und ich signiere auch nach Lesungen nicht mehr. Viele Leute glauben, sie erwerben mit dem Besuch einer Lesung das Recht auf ein Autogramm und das Recht darauf, dem Autor ihre Meinung sagen zu können. Aber das ist ein Missverständnis.

Klingt nach einer ausgewachsenen Paranoia?

Den Paranoiker spiele ich gern, vor allem in Blogs. Weil man jeden Scheißdreck durch einen kleinen Schuss Paranoia ordentlich aufpeppen kann. Paranoia ist wie Geschmacksverstärker. Deshalb befördert das Internet auch Verschwörungstheorien. Das wäre sonst zu langweilig.

Könnten Sie sich trotzdem vorstellen, mal einen Roman als Blog zu schreiben: Die neuesten Kapitel immer gleich online zu stellen?

Nein, das würde ich nicht machen wollen. Obwohl: „Herr Lehmann“ ist eigentlich so entstanden. Da hatte ich dem Verlag ein neues Kapitel zu jedem Monatsende versprochen. Auf diese Weise muss man die Sache jedenfalls straight von vorne nach hinten schreiben. Dabei können einem aber auch üble Fehler passieren: Bei „Herr Lehmann“ gibt es einen Silvio, der später als Heiko wieder auftaucht. Das ist bis heute nicht korrigiert worden.