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Archiv-Artikel

DER TIEFERE GRUND DER DÄNISCHEN FREUNDLICHKEIT IST KONSEQUENTES OUTSOURCING MENSCHLICHER BEGEGNUNGEN Hanging on the telephone

Foto: privat

REBECCA CLARE SANGER

Vielleicht ist der Grund dafür, dass die Menschen in Behörden und Institutionen hier so freundlich sind, schlichtweg der, dass sie es nie mit vielen Kunden zu tun haben. Nicht nur, dass es so wenige Dänen gibt, dass man meinen sollte, die paar könnten sich jederzeit mit einem persönlichem „Hey du“ und einer plörrigen Tasse Kaffee ins Meldeamt, in ein Krankenhaus, in die Finanzbehörde oder ins Lehrerprüfungsamt setzen: Nein, die wenigen Dänen, die es gibt, werden gut geordnet wegorganisiert.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Dänemark vor dem weitläufigen Gebrauch des Internets verwaltungstechnisch überhaupt gegeben haben soll. Vor dem Internet muss Dänemark eine Feudalgesellschaft gewesen sein. Was dann kam, so denke ich, war eine kurze und heftige Phase der Emanzipierung – sexuell-, gender- und drogenpolitisch – die mit der Ankunft von Broadband sofort wieder vergessen wurde. Dank verschiedener Personenidentifizierungsnummern für beliebige Internetregistrierungsseiten herrscht hier nun wieder Überblick.

Neugeborenen wird schon im Kreißsaal ihre CPR-Nummer zugeteilt, kein Wunder, dass für die Namensgebung sechs Monate Zeit bleiben. Bei Arztpraxen registriert man sich per Internet, über ein Bürgerserviceportal mit Hilfe einer NEM ID. Diese NEM ID kann man fürs Internetbanking und die Jobsuche gleich mit gebrauchen. Allerdings nur mit dem richtigen Computer. Meine Freundin konnte monatelang keinen Antrag auf höhere Unterhaltszahlungen stellen, ihr Internetbrowser war nicht schnell genug.

Wenn’s per Internet nicht vollständig zu regeln ist, so behilft man sich mit Faltblättern. Zu meiner Entbindung erhielt ich verschiedene Pamphlete: zur Farbe des Windelinhalts, zur Farbe meines Wundflusses, zur Konsistenz meiner Narben. Auch ein Flugblatt über Kindererziehung erhielt ich, in dem mir auch versichert wurde, das mögliche fehlende sexuelle Lust zwischen den frischgebackenen Eltern durchaus normal sei.

Dazu gab’s, auf der Rückseite des Blattes, not-so-secret weapon Nr. 3: Telefonnummern. Sieht der Windelinhalt am dritten Tag statt spinatgrün taubenblau aus? Telefonnummer. Narbe doch geplatzt? Telefonnummer. Oder genereller: Arztsprechzeiten verpasst? Telefonnummer.

Die Königin aller Telefonnummern ist natürlich die Hotline. Für die Hauptstadtregion hatte man zum 1. 1. 2014 um 00.00 Uhr die regionalen Notarzttelefonnummern durch eine Hotline ersetzt. Wie zu erwarten, kam es sofort zu stundenlangen Wartezeiten und dem Breakdown der Hotline. Etwas überraschend die Empörung, die dies nun doch unter der Bevölkerung hervorrief: Sterben könne man ja buchstäblich in der Zwischenzeit. Da wär’ es ja schneller, bei einem Notfall geschwind in ein Nachbarland zu fahren, um behandelt zu werden.

Vor wenigen Tagen dann die Sahnehaube: eine Protestaktion von Ärzten! Ausgerechnet vier Ärzte sollen durch telefonstreichartige Blindanrufe zu dem Totalausfall der Nummer beigetragen haben.

„Es hätte jemand sterben können, ausgerechnet Ärzte!“ – eifrige Fernsehjournalisten versuchen, den armen Chef der Ärztekammer zu einer Suspendierung seiner unlauteren Kollegen zu überreden, während ehrliche Gesundheitsminister zugeben, dass auch ohne die Ärzte die Hotline (noch) nicht so richtig was tauge. Ärztebesuche und Krankenhausaufenthalte wolle man künftig über Cloudfilesharing erledigen. Das klappt besser und spart auch an Verwaltungsaufwand.

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht alle zwei Wochen an dieser Stelle. Einen Sammelband mit ihren „Hamburger Szenen“ aus der taz.hamburg hat der Verlag Michason & May unter dem Titel „Hamburg Walking“ veröffentlicht.