„Wir alle kämpfen um Teilhabe“

JUBILÄUM Vor 10 Jahren wurde der Migrationsrat gegründet. Weil Probleme wie Ausgrenzung und Rassismus Migranten jedweder Herkunft betreffen, sei ein solcher Dachverband verschiedener Organisationen bis heute nötig, erklären zwei Vorstandsmitglieder

■ Sanchita Basu, 61, Bildungsreferentin bei der Opferberatungsstelle ReachOut, und Didem Yüksel, 40, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Arbeitskreis Neue Erziehung, sind im Vorstand des Migrationsrats.

taz: Frau Basu, Frau Yüksel, worauf blicken Sie in der zehnjährigen Existenz des Migrationsrates mit besonderem Stolz zurück?

Sanchita Basu: Was mich besonders freut, ist, dass es uns überhaupt gibt. Wir sind ein Dachverband aus ethnisch und religiös unterschiedlichen Organisationen, unterschiedlichen Kulturen und auch unterschiedlichen politischen Einstellungen. Da gibt es auch Konflikte und Probleme. Dass das trotzdem seit zehn Jahren klappt, freut mich sehr.

Was hat den Anstoß zur Gründung dieser Dachorganisation gegeben?

Basu: Das war ein Prozess. Viele Organisationen hatten seit Langem die Idee, dass es besser wäre, nicht nur herkunftsspezifisch zu arbeiten, sondern gemeinsam eine stärker politisch orientierte und arbeitende Organisation zu gründen.

Didem Yüksel: Wir wollten eine herkunftsübergreifende Organisation, weil wir gesehen haben, dass uns viele Probleme verbinden. Wir alle kämpfen um Teilhabe und für gleiche Rechte in der deutschen Gesellschaft. Und da haben wir in den vergangenen Jahren gut zusammengearbeitet.

Was sind die verbindenden Probleme und Ziele?

Basu: Eines unserer Ziele war und ist, ein politisches Sprachrohr für die Menschen mit Migrationsgeschichte zu sein. Wir greifen Themen auf, die alle Menschen mit Migrationsgeschichte betreffen …

Yüksel: … wie Diskriminierung, Ausgrenzung, Benachteiligung und Rassismus.

Treten Konkurrenz und Konflikte – etwa um Gelder – zwischen den Einzelorganisationen dahinter zurück?

Basu: Natürlich gibt es diese Konkurrenz. Das liegt auch daran, dass der Senat immer noch lieber die einzelnen ethnisch organisierten Vereine fördert als eine Dachorganisation wie uns.

Yüksel: Klar hat jeder Mitgliedsverein auch seine eigenen Interessen und Schwerpunkte. Aber wir versuchen, diese Schwerpunkte zu bündeln.

Wie geht das?

Yüksel: Wir machen das etwa in unserem Projekt Inklusive Communities. Da versuchen wir zum Thema sexuelle und geschlechtliche Vielfalt gemeinsame Standpunkte zu erarbeiten. Und das klappt auch ganz gut.

Besteht nicht die Gefahr, dass die erfahrenen, größeren oder älteren Mitgliedsvereine andere dominieren?

Basu: Es gibt in allen Zusammenschlüssen Personen, die dominant sind. Das müssen gar nicht die VertreterInnen bestimmter Organisationen sein – es sind die Menschen. So ist es bei uns auch. Aber wenn ein Verein zu den Vertreterratssitzungen jemanden schickt, der schüchtern ist, kommt beim nächsten Mal vielleicht jemand, der mehr redet. Ich würde nicht sagen, dass das organisationsabhängig ist.

Yüksel: Und es kommen jedes Jahr neue Vereine als Mitglieder zu uns – auch solche, die bislang wenig Erfahrung mit politischer Arbeit haben. Das zeigt ja, dass der Migrationsrat als Dachorganisation und die Zusammenarbeit mit anderen Vereinen für sie attraktiv und wichtig sind.

■ Am heutigen Freitag feiert der Migrationsrat Berlin-Brandenburg, 2004 unter der Mitwirkung von über 60 MigrantInnenselbstorganisationen gegründet, sein zehnjähriges Jubiläum ab 16 Uhr in der Werkstatt der Kulturen, Wissmannstraße 32.

Auf der anderen Seite – der der Politik – scheint sich in Berlin allerdings seit einiger Zeit wenig zu tun. Integrationspolitik ist kein großes Thema mehr. Wie erklären Sie sich das?

Basu: Das ist wirklich ein Problem. Zumal der Protest der Geflüchteten seit fast zwei Jahren ein großes Thema ist. Aber die Integrationspolitik konnte leider keinen neuen Akzent setzen.

Was sind Ihre Ziele für die kommenden zehn Jahre Migrationsrat?

Yüksel: Meine Hoffnung ist, dass wir eine andere Förderung bekommen. Das wäre auch eine Wertschätzung unserer Arbeit.

Basu: Die Verwaltung hat uns mitgeteilt, dass Regelfinanzierung für Migrantenselbstorganisationen aus juristischen Gründen nicht möglich sei. Deswegen müssen wir uns Jahr für Jahr erneut um Gelder bemühen – und wissen nie, ob wir unsere Projekte fortsetzen und unsere MitarbeiterInnen weiter beschäftigen können. Das ist ein Problem für nachhaltige und qualitätsvolle Arbeit. INTERVIEW: ALKE WIERTH