: Rechtsextreme proben Aufstand in Ungarn
Demonstrationen am Nationalfeiertag gegen den sozialdemokratischen Premier enden in langen Straßenschlachten
WIEN taz ■ Mit brennenden Barrikaden, Straßenschlachten und mehreren Verletzten in Budapest hat am Donnerstag der ungarische Nationalfeiertag geendet. Am 15. März 1848 hatten sich die Ungarn gegen die Habsburger-Herrschaft erhoben. Oppositionsführer Viktor Orbán und rechtsextreme Splittergruppen nützten den Gedenktag zu einem Versuch, die Regierung des sozialdemokratischen Premier Ferenc Gyurcsány zu stürzen.
Die Konfrontation begann schon am frühen Nachmittag, als Bürgermeister Gábor Demszky vor dem Denkmal des Dichters und Patrioten Sándor Petöfi seine Feiertagsansprache hielt. Der ehemalige Dissident musste von seinen Sicherheitsmännern mit Regenschirmen gegen fliegende Eier und Tomaten verteidigt werden. Ziel der meisten Schmährufe war aber Premier Gyurcsány, der selbst nicht das Wort ergriff. Er ist der Buhmann der Nation, seit eine parteiinterne Ansprache vom vergangenen April bekannt wurde, in der er das geplante Sparpaket damit rechtfertigte, dass man die Nation jahrelang über den wahren Zustand der Wirtschaft belogen habe. Im September und Oktober des Vorjahres hatte die Opposition mit tagelangen Straßenprotesten versucht, den „Lügenpremier“ zu stürzen.
Die Tomatenschlacht war aber nur ein müdes Vorspiel einer Konfrontation, die am Abend und in der Nacht stattfinden sollte. Es begann mit einer Rede des britischen Holocaust-Leugners David Irving und der Festnahme des Rechtsextremen György Budahazy, der in Zusammenhang mit der Verwüstung des Rundfunkgebäudes vor einem halben Jahr gesucht wurde. Einige Sympathisanten suchten bereits den Streit mit der Polizei.
Viktor Orbán, Anführer der „Jungedemokratenpartei“ Fidesz war bemüht, sich von Gewaltakten zu distanzieren. Die Regierung müsse dem friedlichen Druck der Straße früher oder später weichen. Orbán appellierte an zehntausende Anhänger in der zentralen Andrassy-Straße, die von den Chauvinisten als nationalistische Symbole benützten Árpád-Fahnen zu Hause zu lassen. Dennoch war das Árpád-Banner mit den acht roten und acht weißen Längsstreifen im Protestzug häufig vertreten.
Die Krawalle gingen aber von einer Gruppe teils vermummter Rechtsextremer aus, die mit nicht mehr als 1.000 Personen grölend durch die Straßen zogen. Gegen brennende Barrikaden aus Baugerüsten und Mülltonnen setzte die Polizei Wasserwerfer und Tränengas ein. Eine Tränengasgranate landete in einem voll besetzten Restaurant und löste dort Panik aus. Die Polizisten sahen sich bald einem Hagel von Steinen, Flaschen und Glaskugeln ausgesetzt. Mehrere wurden verletzt. Offiziell wurde die Festnahme von 36 Personen gemeldet. Der Sachschaden wird auf über 70.000 Euro geschätzt.
RALF LEONHARD
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