: Schweigen ist Gold
Über den Stand der Integration wird gerne debattiert. Die Doku-Soap „Starke Herzen“ (ab heute im RBB) über drei deutsch-türkische Paare zeigt die Praxis. Man muss ja nicht alles ausdiskutieren
VON DANIEL BAX
Der französische Soziologe Emmanuel Todd verglich einmal die Zahl der Eheschließungen zwischen Einwanderern und Alteingesessenen in Deutschland und Frankreich. Dabei stellte er fest, dass sich die Zahl der Ehen zwischen algerischen Frauen und französischen Männern zwischen 1975 und 1990 vervielfacht hatte, die zwischen türkischen Frauen und deutschen Männern im gleichen Zeitraum dagegen auf niedrigem Niveau stagnierte. Todd schloss daraus, dass es nicht allein am Islam liegen könne, dass sich die Zahl der Mischehen in beiden Ländern so unterschiedlich entwickelt habe. Er machte dafür eher die Widerstände der deutschen Mehrheitsgesellschaft verantwortlich, die sich einer stärkeren Vermischung verschließe.
Man muss diese These nicht überzeugend finden, um sich zu fragen: Liegt es wirklich nur an den türkischen Einwanderern, dass ihre Integration als so mangelhaft gilt? Und stimmt diese Wahrnehmung überhaupt? Inzwischen gibt es in Deutschland rund 100.000 deutsch-türkische Ehen; sie führen die „TopTen“ der binationalen Ehen an. Die Filmemacherin Wilma Pradetto hat den Praxistest gemacht und drei deutsch-türkische Paare ein Jahr lang bei ihren Hochzeitsvorbereitungen begleitet. Ihre fünfteilige Doku-Soap „Starke Herzen“, ab heute im RBB zu sehen, ist eine beeindruckende Nahstudie über den aktuellen Stand der Integration.
Dass die Heirat dabei im Mittelpunkt steht, ist kein Zufall. Zumindest für viele türkischstämmige Frauen scheint eine Hochzeit noch immer Pflicht, um eine Beziehung vor der Familie zu legitimieren. Das zeigt das Beispiel von Sascha und Özlem, beide Mitte zwanzig, die sich im Fitnessstudio kennengelernt haben. Drei Jahre lang verheimlichten sie ihre Affäre, bis Sascha das „Versteckspiel“ satt hatte. Als Özlem ihren Eltern endlich von ihrem deutschen Freund beichtete, waren diese zunächst wenig begeistert. „Warum tust du mir das an?“, entfuhr es der Mutter. Dass die Protagonisten so ehrlich zu ihren (anfänglichen) Vorurteilen stehen, macht die Stärke der Dokumentation aus.
Als die Dreharbeiten begannen, hatten Özlems Eltern ihren Schwiegersohn aber längst ins Herz geschlossen. Immerhin hat Sascha sich geradezu mustergültig angepasst: Er küsst seinen Schwiegereltern die Hände und ist sogar Moslem geworden, um die Ernsthaftigkeit seiner Absichten zu unterstreichen. Integration einmal andersrum.
Wer in eine traditionsbewusste türkische Familie heiratet, braucht aber nicht nur Familiensinn, sondern auch ein Faible für Zeremonien. „Starke Herzen“ begleitet Saschas und Özlems Hochzeit in allen Etappen: Von der standesamtlichen Trauung über die Einrichtung der gemeinsamen Wohnung, den „Hennaabend“ für die Frauen und stundenlange Sitzungen beim Friseur bis zur Trauung in der Moschee. Der Höhepunkt ist die Hochzeitsfeier mit 700 Gästen.
Bei Daniel und Sabrina, dem zweiten Paar, geht es etwas „deutscher“ zu. Daniel ist Türke und hat Sabrina abends in der Disco kennen gelernt. Nun feiern sie seinen Geburtstag mit Torte (vom türkischen Bäcker), rauchen Wasserpfeife und trinken Prosecco. Dann wird über die Unterschiede zwischen Türken und Deutschen debattiert. Auch Sabrina träumt von einer Hochzeit in Weiß. Aber solange sich Daniel nur mit Jobs über Wasser hält, kann sich das Paar die Ausgaben nicht leisten.
Bei Felix und Ipek scheitern die Hochzeitspläne schließlich. Die beiden Germanistikstudenten teilen sich zwar bereits eine Wohnung, aber eines Abends fliegen die Fetzen. Felix fühlt sich bevormundet. Sie wirft ihm Ignoranz vor und wird rasch grundsätzlich: „Ihr Deutschen schafft es, durchs Leben zu gehen, ohne je einen einzigen Türken zu treffen.“
Man muss an den Imam denken, der Sascha und Özlem in der Moschee den Rat gab: „Manchmal nicht reden, manchmal nicht sehen, manchmal nicht hören“. Das sei besser, als immer alles auszudiskutieren. „Starke Herzen“ zeichnet ein interessantes Bild: Das bodenständigste Paar strahlt die größte Harmonie aus, während das Akademikerduo die größten Schwierigkeiten hat. Das Fazit daraus lässt sich auch auf das deutsch-türkische Verhältnis übertragen: Nicht nur, dass es auf beiden Seiten großer Toleranz bedarf. Sondern auch, dass der Hang zum ständigen Problematisieren der Beziehung nicht guttut.
„Starke Herzen“. Doku-Soap von Wilma Pradetto. Ab Montag, den 19. März, fünfmal montags um 21.30 Uhr im RBB-Fernsehen.