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Archiv-Artikel

Was unter der Haube abläuft

PIONIERE Vom Spaß am Basteln bis zur Eroberung der Produkte – in Hamburg arbeitet ein Handy-Fabriklein

AUS ST. PAULI JAN STAU

Ey, „mein Handy ist gestern kaputtgegangen und ich brauche bis morgen unbedingt ein neues. Kann ich mir hier schnell eins bauen?“, fragt der junge Mann aus der Nachbarschaft. Er war auf das Gebäude aufmerksam geworden, das neuerdings auf dem Platz „Park Fiction“ am Hamburger Hafen steht. Für einen Monat hat das Fablab St. Pauli hier seine „Fabrica“ eingerichtet.

In zwei verbundenen Containern können Handys selber gebaut werden. Nicht nur von Experten, sondern von allen Interessierten. Gefördert durch Mittel des Elbkulturfonds der Kulturbehörde. Damit können auch Menschen mit geringen finanziellen Mitteln teilnehmen und müssen nicht die rund 100 Euro für die Einzelteile bezahlen. Vorbild ist das Do-it-yourself-Phone von David Mellis vom Media Lab in Cambridge, USA.

Das Interesse ist groß: Vor dem ersten Veranstaltungstag gab es bereits Anmeldungen, die die Kapazitäten um ein Vielfaches übersteigen. Dem jungen Mann bleibt also zunächst nur die Warteliste. Er verpasst damit auch den Gedanken hinter dem Selbermachen: wieder die Hoheit über die eigenen Dinge zu bekommen. Das geht bei den Aktivisten in den USA so weit, dass sie vom „Befreien“ des Handys sprechen, weil sie freie Software schreiben, die also ohne Lizenzen genutzt werden darf.

Die Hamburger von „Fabulous St. Pauli“ wollen auch zeigen, dass heutzutage in Städten noch etwas produziert werden kann (fablab-hamburg.org/diy-phone). In der Fabrica werkeln bereits die ersten Kurzzeit-Handyfabrikanten jeweils zu zweit an ihren Geräten. Zunächst sortieren sie die benötigten Einzelteile. Um diese große Puzzlearbeit zu vereinfachen, haben sich die Veranstalter ein eigenes System ausgedacht. Sämtliche Kleinstbauteile wie Widerstände, Kondensatoren, aber auch Akku und Display wurden in farblich markierten Plastikbehältern, sogenannten Mäuseklos, grob vorsortiert.

Eigens gebaute Holzkästen mit Ausbuchtungen für die Kleinteile geben die „Anatomie“ des Handys vor. Dabei wird deutlich: diese Arbeit ist nichts für Grobmotoriker. Hier muss mit der Pinzette nach winzigen Teilen gefischt werden, damit der 20-Ohm-Widerstand auch in der richtigen Ausbuchtung landet.

„Hoffen wir nur, dass nichts übrig bleibt“, seufzt Uli aus Frankfurt am Main. Er ist den ganzen Weg in den Norden gekommen, um gemeinsam mit seiner 5-jährigen Tochter an dem eigenen Handy zu arbeiten. Der Spaß am Basteln ist für ihn entscheidend. „Es ist spannend zu sehen, wie so etwas funktioniert. Normalerweise bekommt man davon ja nichts mit“, erklärt der 42-Jährige. Es geht ihm nicht darum, sein altes Handy zu ersetzen. Aber er möchte schon damit telefonieren können.

Diese Motivation kennt Astrid Lorenzen, Industriedesignerin und Aktivistin im Fablab St. Pauli. „Ein Handy ist für viele Menschen eine Art Blackbox. Wir möchten hier eine Idee vermitteln, was unter der Haube so abläuft.“

Beim nächsten Schritt wird es ernst. Lötzinn wird durch eine präparierte Metallplatte auf die Platine gestrichen und hinterlässt das Lot an exakt den benötigten Stellen. Anschließend müssen die zuvor sortierten Einzelteile erneut mit der Pinzette an ihre Bestimmungsorte auf der Platine gesteckt werden. Eine Arbeit die in den großen Fabriken von Robotern erledigt wird und für die nun besondere Konzentration gefragt ist.

Durch das erhitzte Lot breitet sich schnell ein kräftiger, typischer Geruch aus. Das ist ein Teil des Konzeptes. Es soll ein Gefühl für den Umgang mit den Materialien geschaffen werden. „Die Frage, was man gerade mit den eigenen Händen verbaut, stellen sich viele Teilnehmer ganz automatisch. Dann können wir Aufklärungsarbeit leisten“, erklärt Lorenzen. „Die Bedingungen in der Produktion sind häufig sehr schlecht. Es gibt Probleme mit Überstunden und mangelnden Sicherheitsstandards“, stellt Lorenzen fest.

Besonders kritisch sei die Situation bei der Rohstoffgewinnung, bei der es oft zu Unfällen mit Chemikalien kommt und Kinderarbeit keine Seltenheit darstelle. Auch eine möglichst transparente Lieferkette ist für die Veranstalter wichtig, wenn auch nicht leicht umzusetzen.

Wenn alle Kleinteile an den richtigen Stellen befestigt wurden, folgen Akku und Display. Mit einem wackeligen Kabel wird das Handy an einen Computer angeschlossen und die nötige Software aufgespielt. Damit ist erstmals Leben in dem zusammengesetzten Etwas. Nun fehlt nur noch eine handelsübliche SIM-Karte und es kann telefoniert werden.

Um aus dem Gerippe ein gut zu benutzendes Handy zu machen, fehlt noch ein Gehäuse. Dafür stehen Fräse, 3-D-Drucker und Laserschneider bereit, mit deren Hilfe die Handys zu wahren Unikaten werden.

Motivierend hängt ein Foto von Joseph Beuys an der Wand. Darunter ist von ihm der berühmte Satz zu lesen, dass „jeder Mensch ein Künstler“ ist, dass „in jedem Menschen ein kreativer Kern“ ist. Die Fabrica ist ein guter Ort, um dies zu beweisen und möglicherweise in sich zu entdecken. Allerdings nicht mehr an diesem Tag, denn heute wurde der Zeitplan von 3 Stunden nicht ganz eingehalten. Noch ist aber Zeit bis zum 7. September.

Die 50 Handys werden bei den aktuell 116,56 Millionen deutschen Mobilfunkanschlüssen sicherlich zu den bunten Ausnahmegeräten zählen. Vielleicht sorgen sie aber für den einen oder anderen Gedankenanstoß.

„Wir hoffen, dass bei der Elektronik das Gleiche passiert wie bereits bei Essen und Kleidung. Elektronik gehört zu unserem Alltag und sollte nicht gedankenlos konsumiert werden. Dafür wollen wir sensibilisieren“, resümiert Astrid Lorenzen. Vielleicht beginnt dies mit dem ersten selbstgemachten Handy.