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Archiv-Artikel

Ihr Kinderlein kommet

Klotzen statt Kleckern: In Braunschweig haben am vergangenen Wochenende insgesamt 28.000 Kinder gemeinsam gesungen. „In der Gemeinschaft“, sagen die Organisatoren um den Domkantor Gerd-Peter Münden, „liegt der Sinn und der Erfolg.“

Von KC

In der Gängen der Volkswagenhalle ist kein Durchkommen. Tausende Schulkinder laufen in alle Richtungen, die meisten in weißen T-Shirts mit buntem Aufdruck: „Klasse! Wir singen“ steht da, denn dafür sind sie in Braunschweigs größte Veranstaltungshalle gekommen. Bei einem Marathon aus zehn Liederfesten haben von Freitag bis Montag rund 28.000 Schülerinnen und Schüler mitgesungen – knapp 3.000 bei jedem Termin. Zu hören waren Kinder-Gassenhauer wie das Pippi-Langstrumpf-Lied ebenso wie der Klassiker „Der Mond ist aufgegangen“.

Dahinter steckt der Braunschweiger Domkantor Gerd-Peter Münden, der sich selbstbewusst zu den „innovativen“ Kantoren in Deutschland zählt. Er hat den gigantischen Kinderchor organisiert. Dafür war minutiöse Planung erforderlich, am Veranstaltungsort wurde sogar eine Sammelstelle für verloren gegangene Kinder eingerichtet. „Man muss schon ein bisschen verrückt sein“, sagt Mündens Pressebeauftragte Anke Meyer über ihren Chef. Ein Sponsorenvertreter spricht gar vom „Tsunami des Singens“.

Kantor Münden hat ganz bewusst ein Liedprogramm jenseits von Dudelschunkler Rolf Zuckowski zusammengestellt: Klassiker wie „Alle Vögel sind schon da“ sind dabei, aber auch moderne Kinderlieder wie „Meine Biber haben Fieber“. Außerdem hat Münden seinem selbst komponierten Lied „Klasse, wir singen“ eine überdimensionale Uraufführung verschafft. Die Kinder haben die Lieder in den Wochen vor dem Konzert mit ihren Lehrern einstudiert und jeden Tag in der Schule gesungen. Beim ersten Konzert sind dreitausend Kinder hoch konzentriert. Sie füllen einen großen Teil der Halle, auf den übrigen Plätzen sitzen die rund viertausend Zuschauer – die meisten sind Eltern, Großeltern und Geschwister. Der Eintrittspreis von 8,90 Euro für Erwachsene stieß bei vielen zunächst auf Unverständnis, auch weil pro Sängerkind ohnehin fünf Euro Teilnahmegebühr fällig waren. Münden verteidigt den Preis mit Verweis auf die Hallenmiete, auf die aufwändigen T-Shirts und die Liederhefte. Geld verdiene bei „Klasse! wir singen“ niemand, sagt Münden.

Für ihr Geld dürfen die Erwachsenen nicht nur zuhören, sondern oft auch mitsingen. Viele der kleineren Geschwisterkinder hüpfen im Publikum herum und imitieren die Choreografien, die die Nachwuchssänger zu den Liedern machen. Nicht nur aus Braunschweig, sondern auch aus umliegenden Städten wie Helmstedt, Goslar oder sogar Lehrte kommen die Kinder. Insgesamt haben 1.200 Schulen ihre ersten bis siebten Klassen geschickt.

Sein Ziel, die Freude am gemeinsamen Singen gezielt zu fördern, hat Münden offenkundig erreicht. Seine Motivation formuliert er allerdings an einigen Stelle etwas holprig: die „deutsche Tugend“ Singen möchte er fördern und die Kinder „positiv manipulieren“. Die Liedzeile von der Sonne, die über dem „Muselmann“ scheint, findet auch Münden nicht glücklich formuliert – in das Programm aufgenommen hat er das „ansonsten sehr schöne“ Lied „Die Reise der Sonne“ aber trotzdem. Daneben findet sich aber auch ein Lied, das vom Anderssein und von der gegenseitigen Toleranz erzählt. Und bei „Kein schöner Land in dieser Zeit“ erklärt Münden in seinem Moderationstext, dass es schön sei, die eigene Heimat zu mögen – deshalb sei sie aber nicht besser als die Heimat eines anderen.

„Klasse! Wir singen“ hat seinen Weg schon aus der Braunschweiger Heimat herausgefunden. Andere Städte sollen das Konzept für einen Preis von ungefähr 50 Cent pro teilnehmendem Kind kaufen können. Aus Berlin wurde bereits so konkretes Interesse angemeldet, dass die Braunschweiger fest mit einem ersten Exporterfolg rechnen. Der gemeinnützige Verein „Singen e. V.“ sorgt für die Verbreitung. Sein Vorsitzender: Gerd-Peter Münden. Er sagt, Geld verdiene aber auch dann niemand, wenn sich die Gesangswelle in Deutschland ausbreiten sollte: Mit den Einnahmen soll das Singen in der Region Braunschweig gefördert werden. KC