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Archiv-Artikel

Ein Mörder, keine Leichen

Urteil im Gaucke-Prozess: Lebenslange Haft für den Angeklagten Michael P., der seine ehemalige Lebensgefährtin und das gemeinsame Baby heimtückisch ermordet haben soll. Die mutmaßlichen Opfer sind noch immer nicht gefunden worden

von KAI SCHÖNEBERG

Der Mann, der an diesem Tag die gesamte Wucht der Schuld aufgeladen bekommt, harrt regungslos und schweigend auf seinem Stuhl im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Hannover – so wie die letzten 15 Verhandlungstage. Das Urteil, das ihn sein Leben lang hinter Gitter bannen dürfte, scheint nicht zu Michael P. durchzudringen. Angeblich stellen ihn Psychopharmaka ruhig. Oder sitzt da ein gefühl- und reueloses Monster? Jemand, der seine ehemalige Freundin und ihr gemeinsames sieben Monate altes Baby nach einem sorgfältig ausgeklügelten Plan ermordet hat, weil sie ihm eine Last waren?

So sieht es der Vorsitzende Richter Bernd Rümke, als er sein Urteil in einem immer noch mysteriösen Mordfall spricht. Die Stille sei das „gute Recht“ des Angeklagten, sagt der Richter. Dann verurteilt Rümke den 38-jährigen Touristikmanager wegen der Morde an Karen Gaucke und der kleinen Clara zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Wegen der „besonderen Schwere“, der Heimtücke, mit der P. die „wehr- und arglose“ Gaucke und ihr Baby getötet habe, wird P. das Gefängnis auch nach 15 Jahren nicht verlassen dürfen.

Es war ein Mordprozess ohne Leichen. „Niemand hat die Tat gesehen oder gehört“, sagt Rümke. „Wo er die Leichen beseitigt hat und wann er das gemacht hat, wissen wir nicht.“ Beim Durchforsten von Seen und Wäldern fand die Polizei zwar zwei weitere Leichen, aber nicht die von Karen und Clara Gaucke. Einzig anhand der Beweise rekonstruiert der Richter, was am 15. Juni des vergangenen Jahres passiert sein könnte.

Offenbar waren die einstigen Partner an diesem Tag um 20 Uhr verabredet, um über Unterhaltszahlungen zu verhandeln. P. lebte da bereits bei einer neuen Freundin, mit der er auch einen Sohn hatte. Er hatte die kurze Liason mit Karen Gaucke als „die teuerste Nacht meines Lebens“ bezeichnet. „Sie ging ihm auf den Wecker, er wollte sie loswerden“, formuliert es Rümke. P. habe Gaucke „unmittelbar“ nach dem Betreten der Wohnung ermordet. „Dann geht er ins Schlafzimmer und tötet Clara, das Kind“, sagt der Richter. Sonst wäre die Tat ja entdeckt worden.

Nach und nach zerlegt Rümke die Beweisführung der Verteidigung, die einen Freispruch mangels Beweisen gefordert hatte. Die DNA von einer Zahnbürste, von einem Glas und von einer Zigaretten-Kippe aus dem Haus Gauckes stimme mit den Spuren aus der großen Blutlache überein, die in der Küche der 37-Jährigen gefunden worden war. Auch an Turnschuhen von P. und in einem Kombi finden sich Blutspritzer und winzige Blutschuppen, die auf Gaucke hinweisen. „Ob wir den Angeklagten vor 20, 30 Jahren hätten überführen können, das weiß ich nicht“, rühmt Rümke die Technik. Allerdings sei es schlicht „gelogen“, dass P. sich das Blut an den Schuhen von einem Nasenbluten der Verschollenen einige Tage zuvor zugezogen habe. Genauso falsch sei, dass er mit dem Mietwagen ein Wochenende mit einer Freundin verbringen wollte: Die Zeugin habe davon nichts gewusst. Und warum ein Mietwagen aus Braunschweig? „Es gibt so viele Autovermietungen in Hannover“, sagt Rümke.

Mutter und Kind sind tot, da ist der Richter sich sicher. Karen Gaucke sei doch „sonst so zuverlässig“ gewesen. Gerade erst hätte sie einen Krippenplatz für Clara gefunden. Rümke: „Da fährt sie doch nicht einfach Knall auf Fall weg.“ Es bleibe „ein bedrückendes Gefühl“, sagt er. „Wann auch immer: Sagen Sie jedenfalls den Eltern, wo Sie Karen und Clara Gaucke versteckt haben.“

Vater und Mutter Gaucke stehen nach dem Urteil unschlüssig zusammen, irgendwann umarmen sie sich. Immer wieder hatten sie an den Angeklagten appelliert, den Ort zu nennen, wo er Tochter und Enkel gelassen hat, damit sie würdig begraben werden können. „Es ist für beide kein Tag der Freude“, erklärt ihr Anwalt Matthias Waldraff. Aber es sei seit dem 15. Juni „der beste Tag“ gewesen. P.s Verteidigerin Hela Rischmüller-Pörtner sagt, sie rate ihm, Revision einzulegen.