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Archiv-Artikel

Fleischfressende Kurzurlauber

DAILY DOPE Bis zu einem gewissen Grenzwert müsse Clenbuterol erlaubt sein, fordert Analytiker Geyer

„Ein Freifahrtschein ist ein Clenbuterol- Befund für Athleten aber nicht“

HANS GEYER, BIOCHEMIKER

Es war eine kurze Reise. Drei Tage Mexiko und zurück. Und doch reichte der Trip aus, um neue Erkenntnisse zu präsentieren: Kontaminierte Nahrungsmittel haben im Blut zweier Testpersonen für einen deutlich erhöhten Wert an Clenbuterol gesorgt. Die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) rät Mexiko-Reisenden zu „höchster Sensibilität bei der Ernährung“. Clenbuterol? Moment, da war doch was. Genau: Erst vor wenigen Wochen hatte die Nada eine nahezu gleichlautende Meldung veröffentlicht. Nur das Land war ein anderes, nämlich China. Die Reisewarnung hat ihre Zielgruppe vor allem in der Sportelite: Clenbuterol, das Muskeln auf- und Fett abbaut und deshalb auch in der Viehzucht eingesetzt wird, steht auf der Liste der verbotenen Mittelchen der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada). Der Fall, der für die größte Aufmerksamkeit sorgte und noch auf ein endgültiges Urteil wartet: der des dreimaligen Tour-Siegers Alberto Contador.

Aus China erntete die Nada jüngst Unverständnis für ihre Aussagen. „Es gibt nichts, wovor man sich fürchten muss“, sagte Zhao Jian, der stellvertretende Chef der chinesischen Anti-Doping-Agentur, mit erstaunlichem Selbstverständnis. Die Europäer, so die Einschätzung des Funktionärs, hätten überreagiert. Er nannte die Gefahr, dass der Genuss von kontaminiertem Fleisch zu einem positiven Befund beim Test auf anabole Wirkstoffe führt, „sehr gering“. Dimitrij Ovtcharov mag da ein wenig anders denken. Der deutsche Tischtennisprofi, Olympia-Zweiter von Peking mit der Mannschaft, führte einen positiven Clenbuterol-Befund auf den Verzehr von verseuchtem Fleisch bei einem Chinaaufenthalt zurück. Das Urteil: Freispruch.

Einsichtiger reagierte man in Mexiko auf die Warnmeldungen aus Europa – allerdings aus der Perspektive der Gesundheitsbehörden, die zugestanden, dass kleine Mengen von Clenbuterol ins Land geschmuggelt und in der Tiermast eingesetzt worden sein könnten. Nichts Neues für den Radsportler Philip Nielsen. Der Däne führte einen positiven Clenbuterol-Befund auf den Verzehr von verseuchtem Rindfleisch bei der Tour of Mexico im vergangenen Jahr zurück. Das Urteil: Freispruch.

Wie auch immer die Stellungnahmen aus China und Mexiko zu bewerten sind, der organisierte Kampf gegen Doping steht mehr denn je vor der Aufgabe, die Handhabung weiterer Clenbuterol-Fälle zu regeln. „Es ist aus unserer Sicht sinnvoll, über eine Straffreiheit bis zu einem gewissen festgelegten Wert nachzudenken“, sagt Hans Geyer vom Institut für Biochemie an der Deutschen Sporthochschule Köln; allerdings müsse man berücksichtigen, welche Länder ein Athlet bereist hat und wie lange er dort Clenbuterol mit der Nahrung zu sich genommen haben könnte. „Aber ein Freifahrtschein ist ein Clenbuterol-Befund für Athleten damit längst nicht“, sagt er. Durch das Kölner Labor sind viele berühmte Clenbuterol-Fälle gewandert. Zufallstreffer seien China und Mexiko nicht gewesen. „Die Ergebnisse sind Resultate von Pilotstudien. Die Grundlage bildeten Befunde über Länder, die Probleme mit der Lebensmittelüberwachung haben, Länder mit einem erhöhten Risiko. Und da haben wie ins Schwarze getroffen“, führt Geyer fort. „Wir werden der Nada weitere Länder vorschlagen, für die solche Untersuchungen ebenfalls durchgeführt werden sollten.“

Europa sieht er allerdings als nicht gefährdet an. Das fantasievolle Szenario: Die Nada entsendet alsbald Reisende in die Welt, um die ortsansässigen Steakhäuser abzuklappern. Der Andrang von Bewerbern um die Stelle eines spontan-reiselustigen Fleischliebhabers wäre zweifelsohne groß. JAN LÜKE