Betreten und Einsteigen erwünscht

AUSSTELLUNG Passend zur Art Cologne eröffnet in der Kölner artothek eine Schau mit dem Förderpreisträger der letztjährigen Kunstmesse. Michail Pirgelis, der neue Star am Kunsthimmel, ist ganz konkret eine Art Überflieger

VON MARKUS WECKESSER

Michail Pirgelis heißt der neue Star am Kunsthimmel. Der 1976 in Essen geborene und in Griechenland auf gewachsene Künstler hat einen steilen Aufstieg hingelegt. In seinen Arbeiten aus originalen Flugzeugteilen zeigt Pirgelis, wie eng Faszination und Schrecken in der Luftfahrt beieinanderliegen. In der Ausstellung „Aeromaritime“ in der Kölner artothek klingt der alte Menschheitstraum vom Fliegen bereits im Titel an.

Für den kleinen Raum im spätgotischen Bürgerhaus nahe dem Dom hat Michail Pirgelis ein Giebeldach konstruiert, das auf schwarzen Kunststoffpontons aufliegt. Wie beim Sheddach besitzt es eine kurze und eine lang gestreckte Seite. Und obwohl es sich nicht um ein originales Dach handelt, wirkt es im ersten Moment, als habe Gordon Matta-Clark zur Motorsäge gegriffen und ein Haus schräg geköpft. Ein Foto in der zur Einführung in Pirgelis Werk empfohlenen Monografie legt nahe, dass sich der Künstler von der Architektur seines Ateliers inspirieren ließ.

Beim Betreten der Empore über die Wendeltreppe der artothek stellt sich ein verblüffender Effekt ein. Es scheint, als neige sich der Boden und eine unsichtbare Kraft zöge den Betrachter in den Raum. Die kurzzeitige Orientierungsstörung verursachen die leicht gekippten Geländerpfosten, deren Neigung ihre optische Fortführung in der abfallenden Längsseite des Kunstwerks findet. Die harten, eckigen Formen des Giebeldachs stehen gegen die geschwungenen und weichen Formen von Treppe und Empore.

Zwangsläufig kommen dem Besucher Bilder aus der vom Tsunami verwüsteten Ostküste Japans in Erinnerung. Schwimmende Häuser, abgerissene Dächer. An ein Katastrophenszenario hat der Künstler freilich nicht gedacht. Schließlich hat er das Objekt lange vor dem Unglück entwickelt. Doch auch ohne den aktuellen Anlass vermag die Arbeit, die ja durchaus als eine Art Rettungsinsel interpretiert werden kann, zu überzeugen. Anders als bei den meisten Kunstwerken üblich sind hier Anfassen, Betreten und Einsteigen erwünscht. Der erste Tritt auf die welligen Dachplatten ist wackelig, der Einstieg durch die ovale Dachluke, die nicht zufällig einem Flugzeugfenster gleicht, nicht leicht. Durch die Ritzen der aus alten Latten gezimmerten Seitenwände dringt nur wenig Licht ins Innere der Konstruktion. Von den Besuchern, die das Kunstwerk umkreisen, sind nur Fragmente zu erhaschen. Kindheitserlebnisse- und träume von Entdeckungen auf staubigen Dachböden werden wach.

Die Kölner Schau verdankt sich der Auszeichnung von Michail Pirgelis mit dem Förderpreis der letztjährigen Art Cologne, dem Audi Art Award for New Positions. Mit „Aeromaritime“ knüpft der Künstler an seine Zeit als Student an der Düsseldorfer Kunstakademie an. Beim Rundgang 2005 stellte er unter dem Titel „Schwimmendes Dach“ eine erste Fassung der Arbeit vor. Ein Jahr später entwickelte er mit seiner Professorin Rosemarie Trockel für Schwerte ein Miniatur-Eisstadion ohne Eis. Von hintergründigem Humor zeugt ebenfalls die originale Notrutsche, die Pirgelis 2007 als Stipendiat der Villa Romana an das erste Obergeschoss des klassizistischen Baus hängte. Kunst sozusagen als Hilfsmittel, um sich vor der Kunst zu retten.

Zum Abschluss seiner Studienzeit ließ der Künstler das Seitenruder eines Airbus in den Klassenraum der Akademie hieven. Die Verwendung von Bauteilen aus Passagiermaschinen, die er auf Flugzeugfriedhöfen in Arizona und Kalifornien aufstöbert, machte Michail Pirgelis schon früh zu seinem Markenzeichen. Jene Außenwände, Rumpfstücke, Toilettenkabinen, Gepäckfächer, Bremselemente und Flügelbauteile erzählen einerseits von der Faszination, die für den Menschen vom Fliegen ausgeht. Andererseits verweisen sie auf die negativen Folgen (Klimabelastung) und Gefahren des Flugverkehrs (Terrorismus) im Zeitalter des Massentourismus.

In der Galerie Sprüth Magers in London zeigt Michail Pirgelis zurzeit Tür- und Fensteröffnungen, die er aus den Außenwänden von Flugzeugen geschnitten hat. Die ursprüngliche Lackierung wurde abgeschliffen und die Oberfläche so poliert, dass sie extrem glänzt und Betrachter sich darin spiegeln.

Die minimalistische Form der Objekte erinnert an Werke von Donald Judd und Charlotte Posenenske. Indes erklärt sich die von Michail Pirgelis Arbeiten ausgehende Faszination mit der zugleich unprätentiösen wie glamourösen Verbindung von ästhetischer Schönheit und intellektuellem Anspruch.

■ „Aeromaritime. Audi Award for New Positions/Art Cologne 2010“, artothek, Köln, bis 21. April. Michail Pirgelis: „Aerialist“. Verlag der Buchhandlung W. König, 18 Euro