: Whistleblower dringend gesucht
ÜBERWACHUNG 6.500 kamen am Samstag zur „Freiheit statt Angst“-Demo und forderten Asyl für Edward Snowden. Netzaktivist Appelbaum rief Geheimdienstmitarbeiter dazu auf, Snowdens Beispiel zu folgen
BERLIN taz | Vom Schauplatz der Auftaktkundgebung aus war der ehemalige NSA-Horchposten auf dem Dach der US-Botschaft am Pariser Platz gut zu sehen. Ein Ort mit Symbolkraft: Von hier wurde unter anderem das Handy der Kanzlerin abgehört. Der Zeitpunkt der Enthüllung des Lauschangriffs im Sommer des vergangenen Jahres erwies sich als denkbar ungünstig für die Bundesregierung: Der damalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla hatte die NSA-Affäre gerade erst für beendet erklärt. Doch knapp ein Jahr danach ist die Auseinandersetzung mit dem Thema längst nicht vorbei.
Rund 80 Organisationen, Vereine und Parteien hatten für Samstag zur achten „Freiheit statt Angst“-Demonstration aufgerufen. Etwa 6.500 Menschen nahmen nach Angaben des Veranstalters daran teil.
Auf der Bühne hinter dem Brandenburger Tor kritisierte Rolf Grösser von der Internationalen Liga für Menschenrechte (ILMR) die Bundesregierung für ihren Umgang mit der Spähaffäre. Dass der Generalbundesanwalt nach der Affäre um Merkels Handy Ermittlungen einleitete, die millionenfache Ausspähung einfacher BürgerInnen hingegen keine Konsequenzen nach sich zog, sei für ihn „Realitätsverweigerung und grenzt an Strafvereitlung im Amt“. Gemeinsam mit digitalcourage e.V. hat die ILMR Strafanzeige gegen die Bundesregierung und die deutschen Geheimdienste gestellt. 2.700 Personen beteiligen sich bislang daran.
Trotz der vielen Nachrichten über die massenhafte Überwachung durch Geheimdienste in jüngster Zeit gab es auch gute Nachrichten, sagte Peter Schaar, ehemaliger Datenschutzbeauftragter der Bundesregierung, in seinem Redebeitrag. So habe der Europäische Gerichtshof in diesem Jahr die umstrittene Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gekippt. Den Einwand, dass ErmittlerInnen ohne dieses Instrument nun „blind“ seien, ließ er nicht gelten: Er verwies auf die Verbrechen des NSU, dem die Ermittlungsbehörden trotz Vorratsdatenspeicherung nicht das Handwerk legen konnten. „Vielleicht sind sie aber auch nur auf einem Auge blind“, so Schaar.
Annegret Falter vom Whistleblower-Netzwerk fragte: „Wo bleiben die deutschen Whistleblower?“ Es sollten Regelungen geschaffen werden, die es MitarbeiterInnen von Geheimdiensten ermöglichen, illegale Aktivitäten von Geheimdiensten öffentlich zu machen, ohne Strafverfolgung fürchten zu müssen. Der US-amerikanische Journalist und Netzaktivist Jacob Appelbaum schloss sich Falters Forderung an und wollte wissen: „Sind Sie bei der NSA, bei der CIA, beim Bundesamt für Verfassungsschutz oder beim BND? Dann lassen Sie mehr Dokumente durchsickern!“
Der Mann, der die Enthüllungen über die NSA ans Licht gebracht hat, war bei den Protesten omnipräsent. Auf Transparenten und Aufklebern, T-Shirts und Masken prangte das Gesicht des Whistleblowers. Aluhüte und Guy-Fawkes-Masken waren dagegen deutlich in der Unterzahl. Asyl für Snowden war eine der Hauptforderungen der VeranstalterInnen. Die RednerInnen auf der Bühne erklärten Snowden zum Vorbild für zukünftige EnthüllerInnen. Die Bewegung hat ihre Ikone gefunden.
Am Ende der Demo zeigten sich die Veranstalter zufrieden: Alles sei friedlich verlaufen, die Stimmung war gut. Die Teilnehmerzahl sei sogar noch höher als erwartet gewesen. Die Polizei war mit 250 Beamten im Einsatz, Festnahmen gab es keine.
Am Rande der Abschlusskundgebung verlieh ein einzelner „Berliner Wutbürger“, wie er sich selbst bezeichnet, seiner Empörung mit Hilfe eines Lautsprechers Ausdruck. In Richtung der amerikanischen Botschaft rief er: „Für mich seid ihr Arschgeigen.“ FELIKS TODTMANN