: Verschobene Wirklichkeit
SUBVERSIV Die Werke des türkischen Medienkünstlers Ahmet Ögüt beschäftigen sich mit Machtstrukturen und Zensur. Eine kleine Auswahl ist zurzeit in Oldenburg zu sehen
VON KONSTANTIN WENZEL
Wer in die Ausstellung von Ahmet Ögüt im Oldenburger Horst-Janssen-Museum gelangen möchte, muss sich zuerst einen Weg durch eine Passage von Polizeischildern bahnen. Die Schilde sind mit Scharnieren an den Wänden eines schmalen Durchgangs befestigt und lassen sich wie die Schwingtüren eines Saloons zu beiden Seiten hin aufstoßen. Etwas seltsam ist das schon, denn immerhin stehen solche Schutzschilde, auf denen auch noch groß das Wort „Polizei“ prangt, für Abschottung und Undurchdringlichkeit. Doch hier kann der Besucher problemlos durch sie hindurchgehen.
Diese Vorgehensweise ist typisch für den 1981 geborenen Künstler, der in Istanbul, Berlin und Amsterdam lebt und die Dinge oftmals in ihr genaues Gegenteil kehrt. Seine künstlerischen Interventionen erfolgen dabei häufig mitten im Stadtraum. Ögüt schafft keine neuen Formen, sondern benutzt die existierenden Dinge und nimmt an ihnen kleine Veränderungen vor, um auf bestimmte Aspekte der Umgebung aufmerksam zu machen. Einmal beklebte er beispielsweise parkende Autos und verwandelte sie so in Polizeiautos oder Taxis. „Die Dinge sind sichtbar für uns, aber wir verlieren einfach die Fähigkeit, sie zu sehen“, sagt der Künstler. „Um dies zu vermeiden, müssen wir kurze Momente der Illusion erzeugen, um die Wirklichkeit vorübergehend zu verschieben.“
Solch einen irritierenden Moment erlebt der Besucher bereits auf dem Weg zur Ausstellung, wenn ihm im Treppenaufgang ein kleines Schild mit dem Hinweis auf eine Überwachungskamera begegnet. Ögüt hat an dem standardisierten Schild eine winzige Veränderung vorgenommen: Anstatt 24 Stunden, findet die Videoüberwachung angeblich nur 23 Stunden am Tag statt. Mittlerweile gehören diese Schilder, die uns auf die öffentliche Überwachung hinweisen, schon so sehr zum Alltag, dass wir sie kaum noch wahrnehmen. Mit dieser kleinen Irritation bringt der Künstler sie wieder ins Bewusstsein.
Mit seinen subversiven Gesten scheint Ahmet Ögüt einen Nerv zu treffen: Fast 30 Einzelausstellungen wurden ihm in den vergangenen zehn Jahren in vielen Ländern Europas und Nordamerikas gewidmet. Die Oldenburger Schau ist seine fünfte Ausstellung in Deutschland. Da ist es wenig verwunderlich, dass fast alle Arbeiten bereits zuvor in anderen Institutionen gezeigt wurden.
Die einzige Neuproduktion lenkt den Blick auf einen anderen Aspekt im Werk des Künstlers. Mit selbst gebastelten Miniaturlandschaften, die auf den ersten Blick an Modelleisenbahn und Kinderzimmer erinnern, widmet sich Ögüt den Verwerfungen der Globalisierung. 2009 schuf er für den türkischen Pavillon auf der Venedig Biennale solch einen Hybrid aus Architekturmodell und Spielzeugstadt. Sie war zugleich ein dreidimensionales Archiv, zusammengesetzt aus Gebäuden und Fahrzeugen, die seit 1990 durch Terroranschläge zerstört wurden. Für das Horst-Janssen-Museum hat Ögüt zwei Mini-Baugruben geschaffen. Aus ihnen erhebt sich jeweils ein einzelnes, übrig gelassenes Wohnhaus – Symbol für den Widerstand gegen einen profitgetriebenen Bauboom, der in Istanbul und anderswo wütet.
In einer anderen Arbeit bezieht sich Ögüt auf den dystopischen Roman „Fahrenheit 451“ von Ray Bradbury, in welchem Feuerwehrmänner vom Staat für die Verbrennung zensierter Bücher instrumentalisiert werden. Diese Szenerie kehrt der Künstler ins Gegenteil, indem er Feuerwehrmänner zensierte Bücher an Passanten austeilen lässt. In der Oldenburger Ausstellung ist ein Video von der Aktion zu sehen, außerdem liegen die zensierten Bücher auf Regalen aus, die Besucher können sie nehmen und darin lesen.
Eine Beschriftung an der Wand nennt die Begründungen, die zum Verbot der einzelnen Bände geführt haben. So erfährt man beispielsweise, dass die Lektüre von Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ in China lange Zeit untersagt war, weil darin Tiere sprechen, oder dass das kommunistische Manifest von Karl Marx bis zum heutigen Tag nicht in Schulen und Gefängnissen der Türkei gelesen werden kann. Ögüt verdeutlicht so, wie viel Angst Regierungen vor dem subversiven Potential eines Buches haben können und mit welch fadenscheinigen bis absurden Argumenten sie ihre Verbote begründen.
Ähnlich viel subversives Potential kann in ganz einfachen Steinen stecken. In der Animation „Light Armoured“ ist ein gepanzertes Militärfahrzeug zu sehen, das irgendwo aus dem Off mit Steinen beworfen wird. Die Steine fliegen in Endlosschleife, doch nichts passiert. Weder nimmt der Wagen Schaden, noch wird ersichtlich, wer die Steine wirft. So rückt die rebellische Handlung selbst in den Fokus und wird zu einem Symbol für den Widerstand.
Damit bezieht sich der aus einer kurdischen Familie stammende Ögüt auf seine Heimatstadt Diyarbarkir in Südostanatolien, nicht weit von der syrischen Grenze entfernt. Dort hatte es 2010 einen aufsehenerregenden Fall gegeben: Kurdische Jugendliche, die Steine auf Militärfahrzeuge geworfen hatten, waren unter Anwendung eines Anti-Terror-Gesetzes zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt worden. Auf dem Dach eines Istanbuler Hotels lief diese Animation während eines Kunstfestivals auf einer großen Leinwand. Nach einigen Tagen wurde die Vorführung von der Polizei unterbunden. Mit der Begründung, sie könnte Terrorismus provozieren.
Bedauerlicherweise ist die Ausstellung im Oldenburger Horst-Janssen-Museum etwas klein geraten. Noch einige zusätzliche Arbeiten wären wünschenswert gewesen. Dafür lässt sich derzeit nur einige Straßen weiter ein anderer politisch engagierter Künstler aus der Türkei entdecken: Im Edith-Russ-Haus für Medienkunst sind Werke von Sükran Moral zu sehen. Ihre plakativen und provokanten Performances stehen im Kontrast zu den feinsinnigen Verschiebungen Ögüts und für eine andere Form des künstlerischen Aufbegehrens.
Ahmet Ögüt „Apparatuses of Subversion“: bis 5. Oktober, Horst-Janssen-Museum, Am Stadtmuseum 4-8, Oldenburg