Wettbewerb der Schnitzer

KUNST Die Schau „Afrikanische Meister. Kunst der Elfenbeinküste“ in Bonn belegt mit Eleganz und Detailfreude die Meisterschaft und den Erfindungsreichtum der Künstler

Die Masken befanden sich längst im Kunsthandel, als sich Ethnologen und Künstler wie Henri Matisse oder Pablo Picasso für sie begeisterten. Dem Kunsthandel, der sie zu Antiquitäten aus undefinierbarer Frühzeit machte, war aus verständlichen Gründen daran gelegen, dass die Kunstwerke als anonym entstanden galten

VON BRIGITTE WERNEBURG

Perfekte, halbmondförmige Augenbrauen, sehr hohe, elegante Stirnfalten, prachtvoll aufgetürmte Frisuren und raffiniert auf Wangen und Stirn gesetzte Ziernarben: Wie reich das menschliche Gesicht – um erst gar nicht vom tierischen oder halbmenschlich-halbtierischen zu reden – an Formen ist, kann keiner wissen, der nicht „Afrikanische Meister. Kunst der Elfenbeinküste“ in der Bundeskunsthalle in Bonn gesehen hat. Die Ausstellung präsentiert vornehmlich Masken und Webrollenhalter, wie sie traditionell in den ganz verschiedenen Regionen des westafrikanischen Landes geschnitzt wurden und werden. Und erstmals in diesem Umfang präsentiert sie dazu auch die Namen der Schöpfer dieser Kunstwerke.

Denn eigentlich geht die Erzählung von der afrikanischen Kunst so, dass sie eine Künstlerpersönlichkeit mit einem individuellen Personalstil nicht kennt. Paradoxerweise war es gerade der ungeheure Formenreichtum, der die Europäer bei der ersten Begegnung dazu verführte, die Vielfalt der Augenbrauenformen, der sichelförmigen oder runden Augen, der kurzen oder langen Nasen einer Stammesästhetik zuzuschreiben.

Die Vorstellung von so viel individueller Kreativität überforderte die europäische Kunstwissenschaft, zumal sie mit den Schnitzern und ihren Auftraggebern gar nicht erst in Berührung kam. Die Masken befanden sich längst im Kunsthandel, als sich Ethnologen, aber auch Künstler wie Henri Matisse oder Pablo Picasso für sie begeisterten. Dem Kunsthandel, der sie zu Antiquitäten aus undefinierbarer Frühzeit machte, war aus verständlichen Gründen daran gelegen, dass die Kunstwerke als anonym entstanden galten.

Erst der Ethnologe Hans Himmelheber, der 1935 in Tübingen seine Dissertation „Negerkünstler“ vorlegte, machte sich auf die Suche nach den Urhebern. Auf Reisen in die Elfenbeinküste erforschte er, wer was zu welchem Zweck schnitzte. Erstmals befragte er die Künstler zu ihrer Berufswahl, ihrer Ausbildung, ihrem Arbeitsmaterial und ihrer Technik des Schnitzens.

Die von der Bundeskunsthalle mit dem Züricher Museum Rietberg erarbeitete Ausstellung kann Himmelhebers Zurückweisung der Betrachtung afrikanischer Skulptur als „Kunst ohne Künstler“ durch die Vielzahl der Exponate, aber auch durch Fotografien und Filme stützen. An einigen von ihnen war der langjährige Direktor des Museums Rietberg, Eberhard Fischer, beteiligt. Er hatte schon in den 1960er Jahren Himmelheber bei seinen Filmarbeiten begleitet. Sie nahmen die Künstler bei der Arbeit auf und dokumentierten Maskenauftritte bei religiösen Zeremonien oder Verdienstfesten.

Zusammen mit dem Afrika-Kurator des Museums Rietberg, Lorenz Homberger, wählte Fischer rund 200 Meisterwerke aus den vergangenen 200 Jahren aus, die von etwa 40 Bildhauern verschiedener Generationen angefertigt wurden. Die in Vitrinen platzierten, mit Punktstrahlern kostbar ausgeleuchteten Masken und Figuren stammen von Meisterschnitzern aus den sechs wichtigsten Kunstregionen Westafrikas: den Guro, Baule, Dan, Senufo, Lobi und den Lagunen-Völkern im Südwesten der Elfenbeinküste.

Namentlich sind sie meist unbekannt, doch anhand von Quellen und stilistischen Kriterien lassen sich die Arbeiten dann eben dem „Meister der Hahnenkammfrisur“, dem „Meister der Schaufelhände“ oder dem „Vlamick-Meister“ zuordnen. Diese Meister, die je nach Ethnie ganz verschiedenen Sprachen sprechen und je eigene Kulte mit entsprechenden Figuren und Masken pflegen, konnten Bauern sein oder sich nur der Schnitzkunst widmen: In jedem Fall aber waren sie beauftragt. Entsprechend waren sie in ihrem Umfeld für ihre Fähigkeiten bekannt, wenn nicht berühmt. Für ihre Arbeiten wurden sie häufig nicht bezahlt, sondern mit Geschenken honoriert.

Kommunikation mit den Geistern

Ein Geschenk ist nun auch diese Ausstellung. Die Ahnenfiguren, Tanz- und Repräsentationsmasken genauso wie die Masken zur Kommunikation mit Wahrsagern und Geistern, die Zeremoniallöffel und Webrollenhalter, überraschen mit so viel Stil, Eleganz und Detailfreude bei einem meist doch minimalen, abstrakten Grundansatz, mit so viel Erfindungsreichtum und Fantasie, dass man aus dem Staunen nicht herauskommt. Gleichzeitig findet man es tatsächlich immer unverständlicher, dass diese Kunstwerke keine Autoren haben sollten. Denn der wirklich unwahrscheinliche Einfallsreichtum an Formen deutet doch stark auf einen Wettbewerb hin, auf den Wunsch des einzelnen Bildhauers, Aufsehen zu erregen, mit einer raffinierten Neuerung die anderen Schnitzer zu übertrumpfen.

Dann steht man im Museum und weiß nicht, wem man die Krone geben soll: Dem „Meister der Sonnenschirme“, von dessen hinreißenden Sitzfiguren mit Tropenhelm und Sonnenschirm man überhaupt nicht weiß, für welchen Bestimmungszweck sie entstanden? Dem „Meister von Gonate“, dessen Maskengesichter mit einer lang hochgezogenen Mittelnarbe auf Stirn und dicken Tränensäcken überzeugen? Oder Tame, dem noch im Alter gutaussehenden, aber zunehmend mürrischen Bildhauer der Dan, der sogar ein Zaubermittel zum Schnitzen besaß, wie er Hans Himmelheber erzählte. Er setzte seinen Masken schöne Zottelperücken auf und schmückte ihre Stirn mit einem Perlendiadem. Vor allem aber gab er ihnen wunderschöne Münder mit den denkbar spitzesten Zähnen.

■ Bis 5. Oktober, Bundeskunsthalle Bonn, Katalog (Scheidegger & Spiess) 32 Euro