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Archiv-Artikel

Zu Hause im Land der Vernichter

RASSISMUS Er war der einzige schwarze Deutsche im Konzentrationslager Buchenwald. Nun hat Gert Schramm seine Autobiografie vorgelegt

„Die Kommunisten hatten mein Leben gerettet“

GERT SCHRAMM

VON MARIE-SOPHIE ADEOSO

Er denke nicht oft an seine Kindheit, schreibt Gert Schramm im ersten Satz seiner Autobiografie. Es liege wohl daran, dass er mit vielem abgeschlossen habe. Dass der heute 82-Jährige sich dennoch der Erinnerung gestellt und seine Lebensgeschichte aufgeschrieben hat, ist ein großes Glück. Denn das bewegende Zeugnis des KZ-Überlebenden gibt Einblick in einen der breiten Öffentlichkeit noch immer wenig bekannten Teil deutscher Geschichte: die Geschichte schwarzer Deutscher.

Im Jahr 1928 in Erfurt geboren als Sohn der deutschen Schneiderstochter Marianne Schramm und des afroamerikanischen Ingenieurs Jack Brankson, wuchs der kleine Gert ohne das Bewusstsein auf, anders zu sein. Seine Kindheit schildert er als behütet, sein Leben im Erwachsenenalter war stets von harter Arbeit geprägt. Eine Biografie, die in vielerlei Hinsicht „typisch deutsch“ ist, in einem entscheidenden Punkt aber eben nicht. Denn es ist auch die Geschichte eines Jungen, den Nazi-Deutschland in amtlichen Dokumenten als „Negerbastard“ diffamiert hat, der aus der „deutschen Volksgemeinschaft ausgeschieden“ werden sollte. So wurde Gert Schramm erwachsen in einem Land, das ihn vernichten wollte. Mit 14 Jahren kam er in Gestapo-Haft, mit 15 Jahren ins Konzentrationslager Buchenwald.

Schramm beschreibt die Jahre, die ihn fast das Leben kosteten, mit der Eindringlichkeit des Überlebenden, dem sie sich unauslöschlich eingebrannt haben. Er hofft, dass seine Erfahrungen „helfen, aus der Vergangenheit zu lernen“. Mit Schrecken hat er erlebt, wie im wiedervereinigten Deutschland Rechtsextremisten erneut Jagd auf Menschen machten. Schramm erinnert sich auch, damit andere nicht vergessen.

So schreibt er, obwohl es ihm schwerfällt, von den Toten, die täglich aus dem Steinbruch ins Lager zurückgeschleppt wurden, vom Bombenangriff auf Buchenwald, bei dem er verschüttet wurde, und vom sadistischen KZ-Arzt Gerhard Schielausky, der ihm mit Hammer und Meißel die Metallsplitter aus dem Schädelknochen trieb. SS-Aufseher erschossen willkürlich jeden, der aus der Masse stach.

Ausgerechnet ihn, den einzigen schwarzen Jungen unter tausenden Weißen aber, der doch immer ins Auge stechen musste, ihn ließen sie am Leben. Ältere Häftlinge schleusten ihn vom Steinbruch- zum Baukommando, ließen ihn in die Gerätekammer wechseln, pflegten ihn nach dem Bombenangriff gesund. Und sie schärften ihm ein, sich beim Zählappell immer in die Mitte der Häftlingsgruppe zu stellen, wo ihn die SS nicht sehen konnte. Es waren die Häftlinge aus dem politischen Block. So hält Gert Schramm, der zeit seines Lebens selbst „nie politisch“ war, als Resümee der grausamen Jahre fest: „Die Kommunisten hatten mein Leben gerettet.“

So prägend die Jahre in Buchenwald für Gert Schramm gewesen sein müssen, so wenig lässt er sie alleine seine Biografie bestimmen. Nur eines von acht Kapiteln widmet er dem KZ, ein weiteres der vorangegangen Gestapo-Haft. Auf den restlichen Seiten erzählt Schramm von den erstaunlichen Wendungen eines langen Lebens, das ihn nach dem Krieg in den Bergbau nach Nordfrankreich verschlug, in die Wismut-Uranminen im Erzgebirge und nach Essen. Freiwillig reiste er in den Sechzigern wieder in die DDR zurück, arbeitete in Transport- und Baubetrieben, machte sich noch vor der Wende als Taxiunternehmer in Eberswalde selbstständig und zog mit seiner Frau vier Kinder groß. „Vor einem Neuanfang verspürte ich seit jeher keine Angst.“

Mit einfachen Worten, stellenweise auch mit trockenem Humor, beschreibt er seine Lebensstationen zwischen Ost und West. Manchmal ermüdend sind die Passagen, in denen der technikbegeisterte Schramm sich über die Details von Bergbaumaschinen oder Autoreparaturen auslässt. Doch aus ihnen, wie aus den derben Anekdoten von Saufkumpanen, spricht auch eine beruhigende Normalität, zu der Gert Schramms Leben nach dem Krieg gefunden hat. Ein Leben, das sich nicht darauf reduzieren lässt, zum Opfer gemacht worden zu sein.

■  Gert Schramm: „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann. Mein Leben in Deutschland“. Aufbau Verlag, Berlin 2011, 267 Seiten, 19,95 Euro