Keine Beleidigung durch Karikaturen

Prozess gegen das französische Satireblatt „Charlie Hebdo“ wegen Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen endet mit Freispruch. Große Moschee in Paris spricht von Verfahren mit „pädagogischer Wirkung“. Muslime erwägen Berufung

„Charlie Hebdo“ steht offen zu dem Prinzip radikaler Pressefreiheit

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Cabu darf auch in Zukunft einen Propheten Mohammed zeichnen, der nicht mehr mit den Fundamentalisten seines eigenen Lagers fertig wird und in einer Sprechblase seufzt: „Es ist hart, von Idioten geliebt zu werden.“ Juristisch kein Problem sind auch die beiden anderen „Mohammed-Karikaturen“, die das französische Satireblatt Charlie Hebdo aus Solidarität mit der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten veröffentlicht hatte: ein Mohammed mit einer Zündschnur unter dem Turban sowie ein anderer, der Terroristen auf einer Wolke empfängt und ihnen sagt: „Hört auf. Wir haben keine Jungfrauen mehr.“

Mit Freispruch endete gestern Nachmittag vor einem Strafgericht in Paris der Prozess gegen Charlie Hebdo. Mehrere muslimische Vereinigungen sowie die große Moschee von Paris hatte die linke Wochenzeitung wegen „rassistischer Beleidigungen“ verklagt. Wie andere französische Medien – darunter Le Monde, L’Express und France Soir – hatte Charlie Hebdo mehrere Zeichnungen aus Dänemark reproduziert. Aus Solidarität – nachdem es weltweit antidänische Proteste und Anschläge gegeben hatte. Zu einem Prozess kam es in Frankreich nur gegen Charlie Hebdo, das jeden Mittwoch erscheint und seine erste und letzte Seite ausschließlich mit Karikaturen bestreitet.

Das Blatt steht offen zu dem Prinzip radikaler Pressefreiheit und benutzt in Wort und Zeichnung das Recht auf Gotteslästerei. Die anderen französischen Printmedien, die Karikaturen nachgedruckt hatten, kamen nicht vor Gericht. Bei dem Boulevardblatt France Soir benutzte die Geschäftsführung allerdings die Mohammed-Karikaturen als Vorwand, um den Chefredakteur zu entlassen.

Die muslimischen Organisationen argumentierten, dass die Karikaturen die Muslime „wegen ihrer Religion“ beleidigen würden. Ein solches Delikt kann in Frankreich mit bis zu 6 Monaten Gefängnis und 22.500 Euro Strafe geahndet werden. Die große Moschee von Paris, deren Rektor ein Vertrauter von Staatspräsident Jacques Chirac ist und der wichtigste Ansprechpartner von Innenminister Nicolas Sarkozy in dem von ihm gegründeten Muslimrat, hatte bereits vor Urteilsverkündung erklärt, dass der Prozess eine „pädagogische Wirkung“ gehabt habe.

Der Chefredakteur von Charlie Hebdo, Philippe Val, hatte im Laufe des Verfahrens zahlreiche JournalistInnen, KarikaturistInnen und mehrere PräsidentschaftskandidatInnen auf seine Seite gebracht. Unter anderem kamen PS-Chef François Hollande und UDF-Chef – in Personalunion Präsidentschaftskandidat – François Bayrou als Zeugen vor Gericht, um dort die Pressefreiheit zu vertreten. Innenminister Sarkozy, der die Rolle der religiösen Organisationen in Frankreich unter anderem durch die Gründung des Muslimrates aufgewertet hat, erklärte in einem Schreiben, ihm sei „ein Exzess an Karikatur lieber als eine Abwesenheit von Karikatur“. Mehrere muslimische Organisationen überlegten gestern, Berufung gegen das Urteil einzulegen.

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