Demo nicht erwünscht

In der russischen Stadt Nischni Nowgorod lösen die Sicherheitskräfte eine oppositionelle Kundgebung auf

MOSKAU taz ■ In Nischni Nowgorod hat die Lokalpolitik über Nacht ein Herz für Kinder entdeckt. Binnen weniger Tage organisierten die Stadtväter vergangene Woche ein rauschendes Kinderfest. Eile war geboten, weil sich für das Wochenende Russlands radikale Opposition zu einer Demonstration in der drittgrößten Stadt des Landes angekündigt hatte. Die Feier mit dem Motto „Stadt junger Meister“ war denn auch die Begründung, warum der „Marsch der Andersdenkenden“ aus dem Zentrum verbannt wurde.

Das Spektrum der Marschierer reicht von Garri Kasparows Vereinigter Bürgerfront über die verbotenen Nationalbolschewisten (NBP) bis zum ehemaligen Ministerpräsidenten Michail Kasjanow. Nur an die hundert Aktivisten schafften es bis ins Zentrum. Mehrere tausend Sicherheitskräfte riegelten die Stadt ab. Sie hatten schon am Vortag verdächtige Reisende aus Zügen und Bussen geholt, die aus Moskau und Sankt Petersburg anreisten. Auch Kasparows Mitarbeiterin Marina Litwinowitsch saß mehrere Stunden im Gewahrsam der Polizei, die einige Demonstranten auf brutale Weise zurichtete. Auch Journalisten waren nicht vor dem Zugriff der Ordnungskräfte sicher. 102 Personen wurden nach Angaben der Innenbehörde festgenommen. Gegen 29 wurde inzwischen Klage erhoben. Einem könnte gar wegen „Terrorismus“ der Prozess gemacht werden. Anders als beim Marsch von Sankt Petersburg vor drei Wochen, an dem mehrere tausend Demonstranten teilnahmen und die Polizei herausforderten, waren die Sicherheitskräfte diesmal bestens vorbereitet.

Zur Gegendemonstration rief gestern die Jugendorganisation „Naschi“ (Unsrige) in Moskau auf. Die so genannte Putinjugend feierte den Auftakt des achten Regierungsjahres des Kremlchefs. An die 15.000 Jugendliche aus ganz Russland sollen an dem Spektakel im abgesperrten Herzen Moskaus beteiligt gewesen sein. „Naschi“ sind eine Kopfgeburt Wladislaw Surkows, der als stellvertretender Präsidialamtschef für die ideologische Betreuung der Bürger zuständig ist. Nach den friedlichen Revolutionen in der Ukraine und Georgien wurde die Jugendbewegung vom Kreml als Stoßtrupp gegen oppositionelle Umtriebe ins Leben gerufen. Gestern wurden mehrere tausend SIM-Karten verteilt. Sie sollen garantieren, dass die Jugendlichen im Notfall im Nu zur Rettung Russlands bereitstehen. KLAUS-HELGE DONATH