„Die Kiezarbeit macht Fortschritte“

Der Sozialpädagoge Paul Kleinert betreut die Arbeit mit sogenannten Schuldistanzierten an der Kurt-Löwenstein-Hauptschule in Neukölln. Sein Team setzt auf Elternfrühstück, Schulgarten und viel Geduld. Mit ersten Erfolgen

PAUL KLEINERT, 46, ist Sozialpädagoge und betreut seit 2003 sogenannte Schuldistanzierte an der Neuköllner Kurt-Löwenstein-Hauptschule.

taz: Herr Kleinert, Sie arbeiten mit Schuldistanzierten und Schulverweigerern. Welche SchülerInnen sind damit gemeint?

Paul Kleinert: „Früher sagte man dazu „Schulschwänzer“. Wir gehen die Dinge positiv an und nennen sie „schuldistanziert“. Das sind Schüler, die immer wieder einzelne Stunden oder volle Tage fehlen. Das Schwänzen beginnt meist in der Grundschule. Wer zu uns kommt und im ersten Halbjahr 45 Fehltage anhäuft, hat meist schon eine Schwänzerkarriere hinter sich. Sitzt ein Kind dann mit 14 immer noch in der fünften Klasse, hat es gar keine Lust mehr. Dann spricht man von Schulverweigerern. Meist stammen diese Schüler auch aus verantwortungsdistanzierten Elternhäusern.

Sind das die Eltern, die morgens nicht mit den Kindern aufstehen und nie zum Elternabend kommen?

Ja. Wir sind eine Schule mit 83 Prozent Migrationshintergrund: Familien aus Ostanatolien, Flüchtlinge aus dem Libanon, Sinti und Roma, Hartz-IV-Empfänger in der dritten Generation. Diese Eltern sind nicht bildungsfern, sie sind bildungsfremd: Sie können oft selbst kaum lesen, wissen nicht, was Schulpflicht bedeutet, was Schule kann. Damit die Kinder zur Schule gehen, müssen wir die Eltern erreichen.

Wie schaffen Sie das?

Seit diesem Jahr haben wir eine türkischstämmige Kollegin, die bei den Eltern klingelt und sie persönlich zum Elternfrühstück einlädt. Das funktioniert: Letztes Jahr kamen von 300 Eltern nur zwei, zum letzten Treffen erschienen fast alle. Auch die neugegründete Elterntanzgruppe findet Anklang. Die Schule fungiert als sozialer Treffpunkt, das schafft Vertrauen, auch untereinander.

Vertrauen ist ja das eine, Kontrolle das andere. Wie gehen Sie mit notorischen Schulschwänzern um – lassen Sie die von der Polizei abholen?

Nur im äußersten Notfall. Erst machen wir uns ein Bild durch die Schülerakte und einen Hausbesuch. Schulschwänzen kann ja viele Ursachen haben. Es gibt Kinder, die gehen um halb acht mit Schultasche aus dem Haus, die Eltern wissen von nichts. Dann gibt es Elternhäuser, in denen ein solcher Grad von Vernachlässigung und Perspektivlosigkeit herrscht, dass der Schulbesuch noch das geringste Problem scheint. Dann fehlt auch jegliches Problembewusstsein.

Was können Sie in solchen Fällen tun?

Wir arbeiten eng mit dem Jugendamt zusammen. In der Schule bieten wir psychosoziale Beratung an. Und wir versuchen, die Familien einzubinden. Den Schulgarten, den wir im Herbst eingerichtet haben, besuchen immerhin schon drei Väter. Auch die Kiezarbeit, bei der Jugendliche mit Senioren kochen, macht Fortschritte. Aber welchen Erfolg unsere Maßnahmen haben, wird man erst in einigen Jahren sehen.INTERVIEW: NINA APIN