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Archiv-Artikel

Schiffsfriedhof Nordsee

WRACKRAUM Das Museum „Windstärke 10“ in Cuxhafen erzählt von den Gefahren der Seefahrt

Die meisten Schiffe sind wegen Kollision oder Feuer an Bord gesunken

VON ALEXANDER STEIN

Warum gehen Schiffe unter?“, fragt Kuratorin Jenny Sarrazin die jüngeren Besucher des Cuxhavener Wrack & Fischereimuseums „Windstärke 10“. „Sie sind mit einem Eisberg kollidiert!“, bekommt sie gemeinhin zur Antwort. Das Schicksal der „Titanic“ teilen in der Deutschen Bucht allerdings nur wenige Schiffe. „Die meisten sind wegen Kollision oder Feuer an Bord gesunken“, erklärt Sarrazin. Auch werfe die See bei Orkan manchen Pott auf Sand. „Hier auf dem ‚Großen Vogelsand‘ brechen große Schiffe innerhalb von einer Nacht auseinander. Immer noch!“, sagt sie.

Der Nordseegrund gilt als riesiger Schiffsfriedhof. Beispielhaft listet das Museum 50 verzeichneten Untergänge deutscher Schiffe im Jahr 1883 auf. Rechne man das hoch, bekomme man ein „Gefühl für die Untergangszahlen“ der vergangenen Jahrhunderte vor Ort, sagt die Direktorin. Mit Sicherheit seien es Tausende.

Ein im „Wrackraum“ ausgestellter riesiger Propeller offenbart die auf See wirkenden Gewalten. Es ist die 9 Tonnen schwere Ersatzschraube des Auswanderungsschiffs „Cimbria“, einem der 1883 gesunkenen Schiffe. Die „Cimbria“ war in einer Januarnacht unterwegs von Hamburg in die Neue Welt und der Nebel wurde immer dicker. Im Dunst hörten sie ein anderes Schiff. Der Kapitän änderte den Kurs. Ein Fehler. Der englische Dampfer „Sultan“ krachte in einem fast rechten Winkel in die „Cimbria“ und versenkte sie. 437 Menschen ertranken, darunter viele Osteuropäer, denen das Zwischendeck zum Verhängnis wurde. Die meisten der 56 Überlebenden gehörten der Mannschaft und der ersten Klasse an. „Die größte zivile Katastrophe in der Nordsee seit Menschengedenken“, sagt Sarrazin.

Das moderne Museum, ein kantiger Bau, kombiniert zwei miteinander verbundene Fischpackhallen aus der Nazizeit. In den 1960er und 1970er Jahren hatte ein Mitarbeiter des „Wasserzolls“ Artefakte gesammelt, die bei Elbbaggerungen zutage getreten waren. Das daraus entstandene Wrackmuseum ging vor einiger Zeit mit seinem Direktor in den Ruhestand. Ebenso erging es einem ehrenamtlich geführten Museum zur Hochseefischerei im Hafen. Da sich die Geschichten des Fischfangs und Schiffbruchs ohnehin überschneiden, machte die Stadt aus den zwei Ausstellungen eine und bereicherte sie durch Exponate des ehemaligen Stadtmuseums und maritime Antiquitäten.

„Windstärke 10“ ist vor allem für Familien konzipiert. Kinder bekommen eingangs ihr „Seefahrtsbuch“ ausgehändigt, ein Heft, das ihnen Aufgaben stellt, die es während des Besuchs zu lösen gilt. Dazu stehen den „angeheuerten Leichtmatrosen“ eine Morsestation, Tauwerk für Seemannsknoten und Messwerkzeug zur Durchführung einer Fischfangkontrolle zu Verfügung. „Alles ist sehr anschaulich und für Kinder sehr interessant“, bestätigt Besucher Andreas Kasper, während seine Frau und sein Sohn unter historischen Taucherhelmen stecken.

Tochter Anna überprüft derweil in der Mittelhalle, ob die dort lagernden Kunststoff-Fische den Fangvorschriften entsprechen oder sie wegen „Schonmaßes“ eine Strafe verhängen muss. „Wir versuchen hier, das Thema Überfischung aufzugreifen und Bewusstsein zu erzeugen“, erläutert Leiterin Sarrazin. Der Ausstellungsteil sei so angelegt, dass man ihn aktualisieren könne.

Um sich in eine gefährliche Seefahrt einzufühlen, ist „Windstärke 10“ zu aufgeräumt, aber einigen Besuchern reicht die „360- Grad-Meerprojektion“, um sich seekrank zu fühlen.