: AKW Brunsbüttel unverkäuflich
Vattenfall will Mängelliste des Reaktors geheim halten, weil sonst der Kaufpreis sinken könnte. Ein abenteuerliches Argument, finden Umweltschützer – und ein Grund mehr für die Veröffentlichung
VON ESTHER GEISSLINGER
Wenn Vattenfall Informationen über mögliche Mängel im Atomkraftwerk Brunsbüttel herausgeben müsste, bedeute das einen „enteignungsgleichen Eingriff“. Mit diesem Argument will das Energieunternehmen das Schleswiger Oberverwaltungsgericht überzeugen, einen entsprechenden Antrag der Deutschen Umwelthilfe (DUH) abzulehnen. Seit Monaten versucht die DUH, eine Liste über Schwachstellen des Reaktors zu erhalten, die nach einer regulären Sicherheitsüberprüfung im Sommer 2001 erstellt wurde.
Eigentlich hätte dieser Katalog längst abgearbeitet sein müssen. Im vorigen Sommer in der Debatte über den Störfall im schwedischen Kraftwerk Forsmark erwähnte die Kieler Sozial- und Energieaufsichtsministerin Gitta Trauernicht (SPD) die Liste. „Da wurden wir hellhörig“, sagte Rainer Baake, Geschäftsführer der DUH, gestern bei einer Pressekonferenz. Trauernicht hatte demnach zugestimmt, der Umweltorganisation die Liste zu geben, aber Anfang Dezember erklärt, auch die Interessen des Betreibers seien zu berücksichtigen. Die Entscheidung wolle sie dem Oberverwaltungsgericht überlassen (taz berichtete).
Nun liegt der Fall in Schleswig und wird vermutlich in den kommenden Wochen entschieden. Baake rechnet sich gute Chancen aus, obwohl die DUH in erster Instanz verloren hat. Die Argumentation von Vattenfall sei unglaublich, sagte Baake, als grüner Staatssekretär im Bundesumweltministerium ehemals selbst für Atomaufsicht zuständig: „So etwas ist mir in meiner gesamten Laufbahn noch nicht vorgekommen.“ Denn Vattenfall berufe sich auf sein „Betriebs- und Geschäftsgeheimnis“ und erklärt, wenn Mängel bekannt würden, könnte ein „möglicher Käufer den Preis mindern“. Für den Konzern sei die Preisgabe der Daten also „unmittelbar vermögensmindernd“ – wie eine Enteignung.
„Die Vorstellung, ein 30 Jahre alter Reaktor könne verkauft werden, ist eine abenteuerliche Konstruktion“, erklärte Baake. Er geht davon aus, dass Vattenfall in „Argumentationsnot“ sei und darum diesen Weg gewählt habe, um das Gericht zu überzeugen. Denn bei der Frage, was ein Betriebsgeheimnis sei, „zählt nun mal nicht der Wille, sondern es muss plausibel dargelegt werden, dass ein Konkurrent einen Vorteil hat“, erklärt DUH-Justiziarin Cornelia Ziehm. Nach Ansicht der Umwelthilfe hat Vattenfall sich mit dem Argument selbst geschadet: „Wenn der Zustand von Brunsbüttel so schlecht ist, dass der Wert gravierend gemindert würde, ist klar, dass Vattenfall es geheim halten will – aber umso mehr hat die Öffentlichkeit ein Anrecht auf Information.“
Diese Ansicht teilen auch die Grünen im Kieler Landtag: „Die Schwachstellenliste muss unverzüglich veröffentlicht werden“, so der energiepolitische Sprecher Detlef Matthiessen. „Die von Vattenfall angeführten Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sind vorgeschoben, um die sicherheitsrelevanten Schwachpunkte des AKW Brunsbüttel zu verbergen.“ Auch Lars Harms (SSW) erklärte: „Ein mangelhaftes Atomkraftwerk ist keine Privatsache des Betreibers, sondern ein Fall für die Öffentlichkeit.“
Opposition und die DUH kritisieren Gitta Trauernicht: Das Ministerium spiele eine „dubiose Rolle“, glaubt Matthiessen, und Rainer Baake sagte: „Ich misstraue ihren Aussagen.“
Gestern erklärte Trauernicht – nicht zum ersten Mal – es gebe kein sicherheitstechnisches Defizit, das sofortigen Handlungsbedarf auslöse. Auf der Mängelliste stünden fehlerhafte Dokumentationen oder Verbesserungen nach dem neuesten Stand der Wissenschaft. „Vattenfall muss diese Punkte abarbeiten, nicht das Ministerium“, sagte sie. Tatsächlich ist die Ministerin kein Fan des Brunsbütteler Meilers: Als Vattenfall im Februar den 30. Geburtstag seines Reaktors feierte, erinnerte die Sozialdemokratin an Pleiten und Pannen, etwa Stillstände und „überdurchschnittlich lange Revisionszeiten“. Trauernicht forderte: „Das Kernkraftwerk Brunsbüttel muss im Jahr 2009 vom Netz genommen werden.“
Vielleicht geht die Ministerin bewusst trickreich vor: Ein mit Mängeln behaftetes Kraftwerk hat sicher weniger Chancen auf eine Laufzeitverlängerung als eines, das sogar in den Augen der DUH makellos dasteht.