: Alles muss raus!
Die größte Zwangsvollstreckung der Weltgeschichte: Berlin wird versteigert
16 Schlösser, 3 Opernhäuser, 2 Unesco-Titel, 500.000 leerstehende Wohnungen, 6.000 Hugenotten, 78 Paternoster, 1.600 Bidets, 80.000 Poeten, 79 Bananenboas, 950 elektrische Schreibmaschinen, 1 Regierender Bürgermeister auf 1 Liege im Sonnenschein.
Immer mal wieder angedacht, immer mal wieder abgewiegelt, doch jetzt geht sie endlich los: die größte Zwangsvollstreckung der Weltgeschichte, initiiert vom „Internationalen Auktionsbündnis Berlin“, denn IWF, Weltbank und 500.000 weitere Gläubiger haben nicht ewig die Spendierhosen an. Wowereit sieht das Ganze erst mal locker. „Im Notfall machen wir halt unter neuem Namen wieder auf“, zwinkert er den Senatoren zu.
146 Minderheiten, 100 Tonnen Mauerreste, 1 Brandenburger Tor, 7.000 Außenklos, 6.700 Eisbeine, 850 Holzbeine, 850 Stasi-Schärpen, 200 Friedhöfe mit 2.000 Gebeinen von historischen Größen, darunter 35 Nobelpreisträger und 15 Diven.
Die gesamte Vermögensmasse Berlins steht bereit, auch die 3,4 Mio. Einwohner samt deren Hab und Gut, wenngleich das meist nicht der Rede wert ist. Lediglich Gegenstände in Fremdeigentum, wie die vorderasiatische Beutekunst des Pergamonmuseums und die ukrainischen Prostituierten, werden aus der Vermögensmasse ausgesondert und an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben.
100.000 Kohleöfen, 100.000 Hunde, 300.000 Hundehaufen, 2 Millionen Buletten, 1 Fußgängerzone, 10.000 Zeitzeugen, 6.800 angefangene Doktorarbeiten, 17 Partnerstädte, 2.711 Betonstelen mit Anti-Graffiti-Beschichtung.
Ratzfatz gehen die historischen Größen weg, von Humboldt bis Juhnke, Dietrich bis Dutschke: Alle Mann nach Hamburg, denn mit den paar hanseatischen Leuchten ist kein Stadtstaat zu machen. Da auch die Berliner Friedhöfe vor Lichtgestalten wie Rosa Luxemburg, Hegel und Benn wimmeln, bringt der Sarghandel ordentlich ein: Die Gebeine der Brüder Grimm gehen an deren Geburtsstadt Hanau, das auf das touristische Highlight schon lange scharf war; Augsburg holt Brecht heim. Und erst die prestigeträchtigen Städtepartnerschaften: Peking, Buenos Aires, Paris. Eckernförde kündigt die Freundschaft mit Hässleholm und sackt die mit L. A. ein. Das Unesco-Weltkulturerbe-Label der Museumsinsel ersteigert Bad Oeynhausen und ziert damit das älteste Einkaufscenter in Ostwestfalen-Lippe. Die Bestände des neu eröffneten Currywurstmuseums gehen an das Bratwurstmuseum Holzhausen, das damit zum größten Wurstmuseum der Welt mutiert. Die Opernhäuser sind leider nicht so begehrt. Nur die Sitzmöbel gehen weg: Die ohne Löcher an die Veltins-Arena Gelsenkirchen, die mit Löchern an die neuen ICEs der Deutschen Bahn. Die Schlösser ersteigern die Happy Few der Gesellschaft von Dietrich Garski bis Peter Hartz. Roman Abramowitsch ersteigert das prunkvollste Schloss, die amerikanische Botschaft. Weiterhin nimmt er mit heim:
40.000 Exponate der Gourmetgalerie KaDeWe, 9.000 Sowjet-Devotionalien, darunter das Soljankische Ehrenmal, die Russendisko des Café Burger samt Türsteher Wladimir Kaminer und allen weiteren 799.999 Russen.
Jetzt geht’s Hammerschlag auf Schlag: Die Zeitzeugen gehen an den Guido-Knopp-Trust, die Außenklos an die Lufthansa, die Hunde nach China, die Hundehaufen an das Moorbad Bad Muskau, die Berlinale an den Schweizer Kanton Uri, der die Urinale im Geiste des Vorgängers fortführt, die leerstehende Wohnungen nach Bombay und Tokio, die Stelen des Holocaust-Mahnmals an die norddeutschen Hünengräber, die Reichstagskuppel als neues Seerosen-Gewächshaus nach Braunschweig, die noch brauchbaren Mauerstücke erstehen Israel und Palästina gemeinsam. Die Stimmung in Berlin bleibt gelassen. „Gibt dir dat Leben eenen Knuff, dann weene keene Träne. Lach dir’n Ast und setz dir druff, und baum’le mit die Beene!“, rappt Bushido. Aber welcher Ast? Sämtliche Linden werden gefällt und abtransportiert, als Brennholz für bayerische Saunen, die Holzbeine noch obendrauf. Und wer ergattert das Hauptstadtabzeichen? München, Leipzig, Frankfurt? Das Rennen macht Breslau. Das Partyhauptstadt-Label schnappt Pfarrkirchen Treuenbrietzen vor der Nase weg.
Und schon sind die 60 Milliarden eingespielt. Die Stadt atmet auf, denn das Wichtigste ist erreicht: Berlin bleibt Berlin, die Schließung wurde abgewendet. Und ein paar Bauten können ihren Sitz in der Stadt sogar behalten. Die Glocken des Airberliner Doms läuten Sturm. Die Volkswagenbühne legt „Schulden und Sühne“ wieder auf. Im Café Kranzleramt gibt es Muckefuck, Abramowitschs letzte Trucks juckeln über die Wal-Mart-Allee gen Osten. Nur die Auktionshüter bleiben fest in Berliner Hand:
4.000 Soziokulturelle Zentren, 11.000 Behörden, 500.000 Beamte, 1 Liege im Sonnenschein.
Und wo steckt Wowereit? Auch der wurde abtransportiert, als Schoßhund für einen Milliardär, der ungenannt bleiben möchte. Als Märtyrer, dem Berlin auf ewig die letzten 125 Euro Schuldentilgung verdankt, bleibt der Altbürgermeister unvergessen.
ELLA CARINA WERNER