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Archiv-Artikel

„An uns wird nicht gedacht“

PROTEST Der Arbeitsdruck für Kita-Beschäftigte hat sich seit zehn Jahren stetig erhöht, kritisiert Marina Jachenholz vom Betriebsrat der städtischen Elbkinder-Kitas. Nun planen sie eine Demonstration

Marina Jachenholz

■ 51, ist Betriebsratsvorsitzende von Hamburgs größtem Kita-Träger, der städtischen Elbkinder-Vereinigung, die rund 24.000 Kinder in 178 Kitas betreut.

taz: Frau Jachenholz, Sie haben mit Kollegen das Kitanetzwerk-hamburg.de gegründet und planen für den 30. Oktober eine Demo. Es fließt doch mehr Geld in die Kitas. Wo liegt das Problem?

Marina Jachenholz: Das Geld kommt dem Ausbau und den Eltern zu Gute. An die Mitarbeiter wird nicht gedacht. Für uns hat sich in den vergangenen zehn Jahren stetig der Stress und Druck erhöht. Das ist das, was alle Erzieher stört – egal wen sie fragen.

Wie kommt das auf einmal?

Ganz wesentlich ist die Einführung des Kita-Gutscheinsystems. Früher wurden Ganztagsplätze richtig ausfinanziert. Heute geht es nur um den Betreuungsbedarf der Eltern, die dem Arbeitsmarkt immer länger zur Verfügung stehen müssen. Dieser Druck wirkt sich auch auf uns aus. Die Elbkinder-Kitas haben extrem lange Öffnungszeit von 6 bis 18 Uhr und keine Schließungszeit in den Ferien. Das führt zur Ausdünnung des Personals.

Was wirkt sich das aus?

Dass eine Erzieherin unter Umständen auch mit bis zu 30 Kita-Kindern allein ist, ist nicht ungewöhnlich. Wir vom Betriebsrat der Elbkinder-Kitas haben in den vergangen zwei Monaten über 20 Überlastungsanzeigen von KollegInnen erhalten, die sagen, sie schaffen es nicht mehr. Das zeigt, wie groß die Not ist. Es gibt in den Kitas heute eine hohe Reiz und Lärmbelastung. Das geht auf die Gesundheit.

Bisher hört man, dass es in den Krippen an Personal fehlt.

Dort ist es am schlimmsten, weil zu der psychischen die physische Belastung kommt. Wir müssen die Kleinen oft heben und schleppen. Es gibt zwar Arbeitshilfen wie Treppen zu den Wickeltischen, aber wenn es schnell gehen muss, hebt man die Kinder eben doch da drauf. Am meisten Aufmerksamkeit brauchen Säuglinge. Die wurden früher doppelt gezählt. Auch das hat man abgeschafft.

Wie groß ist Ihr Netzwerk?

Wir haben etwa 30 aktive Mitstreiter, auch Kita-Leiter und Eltern sind dabei.

Und was fordern Sie?

25 Prozent mehr Personal.

Für alle Altersgruppen?

Ganz genau.

Das wird teuer.

Es muss jetzt einfach nach der Ausweitung der Quantität in die Qualität gehen. Wir finden ja den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz und die Beitragsfreiheit richtig. Aber nun muss auch daran gedacht werden, wie man es schafft, die Kinder so zu bilden und betreuen, dass es ihnen gut geht und nicht schadet.

Ist das nicht wichtiger als kostenlose Plätze?

Das fragen Sie mal die Eltern. Die Landeselternvertretung hat gesagt, sie wäre bereit gewesen, die Beitragsfreiheit zu verschieben. Man hätte sich in der Mitte treffen können. Aber das war vom SPD-Senat nicht gewollt. Sowohl Bürgermeister Scholz als auch Sozialsenator Scheele haben gesagt, es gibt nicht mehr Personal. Das finde ich dreist.

Es geht um Wählerstimmen, es gibt mehr Eltern als Erzieher. Wie wollen Sie sich durchsetzen?

Durch Penetranz. Wir sammeln Unterschriften sowohl unter Eltern als auch unter Erziehern. Wir planen für den 30. Oktober einen großen Sternmarsch in die Stadt. Sollte sich nach der Wahl nichts tun, denken wir auch über eine neue Volksinitiative nach. INTERVIEW: KAIJA KUTTER