: Daimler lässt Ökoprojekt fallen
Die Kokosfaserfabrik Poematec in Brasilien soll jetzt verkauft werden. Sie produziert umweltfreundliche Autositze. Ökonomische Zukunft von 5.000 Familien ist unsicher
BERLIN taz ■ Seine besondere ökologische und soziale Verantwortung belegte das Automobilunternehmen DaimlerChrysler gerne mit einem Beispiel aus Brasilien. Um den gefährdeten Regenwald des Amazonasbeckens zu schützen, finanzierte der Weltkonzern dort die nachhaltige Produktion von Autoteilen aus Kokosfasern. Die Auszeichnung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) für das Regenwaldprojekt im Jahr 2003 ist noch heute auf der Internetseite von DaimlerChrysler zu besichtigen – obwohl sich die Zeiten geändert haben.
Nach Informationen der taz will der Konzern seine Unterstützung für die Kokosfaserfirma Poematec nun einstellen. 2001 wurde Poematec im armen Nordosten Brasiliens in der Stadt Belém gegründet. Im Besitz von brasilianischen Gesellschaftern erhielt die Fabrik großzügige Unterstützung durch den Automobilkonzern. DaimlerChrysler finanzierte Maschinen und übernahm Schulden.
Der Sinn der Sache: Um die Abholzung und Brandrodung des Regenwaldes zu verhindern, förderte DaimlerChrysler den schonenden Anbau von Kokospalmen. Die Fasern der Kokosnüsse verarbeitete Poematec vorwiegend zu Autositzen für die in São Paulo hergestellten Mercedes-Lastwagen. Bis zu 5.000 Familien erhielten damit einen Lebensunterhalt.
Wie der ehemalige Daimler-Betriebsrat Gerd Rathgeb nun erklärt, will der Konzern sein brasilianisches Vorzeigeprojekt loswerden. Die Zukunft des gesamten Projektes stehe in den Sternen. DaimlerChrysler suche Investoren, die die Fabrik übernehmen, so Rathgeb. Angeblich gibt es einen Interessenten in den Niederlanden. Genaueres ist vom Unternehmen selbst nicht zu erfahren – DaimlerChrysler sieht sich außerstande, eine Stellungnahme abzugeben.
Ursprünglich habe DaimlerChrysler geplant, bei Poematec große Mengen Kokosfasersitze nicht nur für Lkw, sondern ebenso für die Produktion der A-Klasse in Brasilien zu bestellen, sagt Rathgeb, der auch dem Poema-Verein in Stuttgart vorsteht. Weil die A-Klasse in dem südamerikanischen Land allerdings ein Flop war und kaum verkauft wurde, seien die Aufträge für Poematec ausgeblieben. Da sich der Konzern nicht ernsthaft um Ersatzaufträge bemüht habe, liege die Auslastung der Fabrik in Belém bei nur noch 30 bis 40 Prozent.
Bei der Entscheidung des Unternehmens spielt auch eine Rolle, dass die Autositze aus Kokosfasern um 3 bis 5 Euro pro Stück teurer sind als vergleichbare Exemplare aus Schaumstoff. Diesen Kunststoff auf der Basis von Erdöl verwendet DaimlerChrysler für die meisten Sitze.
Der höhere Preis der Kokossitze komme unter anderem dadurch zustande, so Gerd Rathgeb, dass DaimlerChrysler die Weiterentwicklung der Produkte vernachlässigt habe. Der Exbetriebsrat zieht eine Parallele zu anderen Fällen mangelnder Innovationsfreude des Konzerns: „Auch beim Katalysator, beim Rußfilter für Dieselfahrzeuge und beim umweltfreundlichen Hybridantrieb waren andere Hersteller schneller als Daimler.“ Dies könne sich im Falle des umweltfreundlichen Materials Kokosfaser durchaus wiederholen, befürchtet Rathgeb.
HANNES KOCH, SVEN KULKA