: Debatten unter Nachbarn
Der grüne Kongress über die „Kreative Stadt“ konnte nur teilweise im Schanzenviertel stattfinden. Diskussion mit Bürgermeister von Beust wurde wegen Protesten der Roten Flora ins Rathaus verlegt
VON SVEN-MICHAEL VEIT
Am Anfang und am Ende schritt die Ordnungsmacht ein, zwischendurch wurde debattiert. Ihr Konzept der „Kreativen Stadt“ stellte die GAL am Samstag auf einem Kongress zur Diskussion, der nur zeitweise am vorgesehenen Ort im Kulturhaus 73 auf dem Schulterblatt direkt neben der Roten Flora stattfand. Die abschließende Podiumsdiskussion am späten Nachmittag mit Bürgermeister Ole von Beust (CDU) wurde ins Rathaus verlegt – um Konflikten mit den Nachbarn aus dem Wege zu gehen.
Mit lauter Musik vom Vordach der Roten Flora war gestern Vormittag der GAL-Kongress beschallt worden. Nach Beschwerden von Nachbarn schritt die Polizei am Mittag zum ersten Mal ein: Die Lautsprecher wurden unter den Augen Hunderter Kaffeetrinker auf der sonnigen Piazza am Schulterblatt beschlagnahmt, das Transparent „Ole, verpiss dich“ hingegen durfte hängen bleiben.
Auf der Homepage der Flora war dazu aufgerufen worden, den „(un-)kreativen Mist“ der Grünen abzulehnen und den Bürgermeister bei seinem ersten Besuch im Schanzenviertel seit sechs Jahren „entschlossen zu begrüßen“. Am 4. Januar 2001 hatte von Beust, damals noch Oppositionsführer in der Bürgerschaft, auf dem Schulterblatt die Räumung der Roten Flora gefordert und war von mehreren Hundert Protestierenden mit Konfetti und Luftschlangen beworfen worden.
Willfried Maier fand die Proteste gegen den Kongress „nicht so dramatisch“, sagte der grüne Fraktionsvize bei der Podiumsdiskussion mit dem Bürgermeister im Rathaus. Es müsse schon jeder selbst wissen, „ob er sich der Debatte verweigert oder nicht“. Für ihn sei es „natürlich, auch mit der GAL zu reden, wenn sie mich einlädt“, erklärte von Beust. Das sei „doch nicht exotisch“.
Das CDU-Konzept der „Wachsenden Stadt“ sei gedacht gewesen als „Kontrapunkt“ zu den Prognosen früherer Jahre über die zunehmende „Unregierbarkeit der Städte“, sagte von Beust. Und war mit „den Erfolgen“ seiner Politik selbstverständlich zufrieden, wenngleich da noch manches „zu verbessern“ sei. Und lobte auch die eine oder andere „gute Idee“ der Gastgeber.
Deren Grundgedanke aber sei ein entschieden anderer als der des Senats, beharrte Maier. Wachstum durch Kreativität sei „der intelligentere und individuelle Ansatz“ der Grünen, die CDU hingegen hoffe auf Potenziale durch Wirtschaftswachstum. Die Unterschiede der beiden Konzepte würden deshalb in der konkreten Politik „auf den entscheidenden gesellschaftlichen Feldern“ deutlich: Soziales, Wissenschaft, Bildung, Forschung oder kultureller Fortschritt.
Rückendeckung bekam Maier von Jobst Fiedler. Der grüne Ansatz sei „richtig und überzeugend, weil er Wachstum und Kreativität aus sich heraus definiert“, erklärte der Professor für Public Management in Berlin. Entscheidend für Arbeit, Wohlstand und sozialen Fortschritt seien „neue Ideen“ und damit „Investitionen in Wissen“.
Im Grundsatz aber hält der ehemalige SPD-Bezirksamtsleiter von Harburg die Entwürfe von CDU und GAL ebenso wie das SPD-Konzept der „Menschlichen Metropole“ nicht für Gegenentwürfe, „sondern für Ergänzungen“. Und im Vergleich mit den strategischen Debatten in anderen Großstädten „und gerade in Berlin“ sei die Diskussion in Hamburg „auf einem erheblich höheren Niveau“, lobte Fiedler.
Die – mehr oder minder niveauvolle – Debatte über die grünen Vorstellungen für eine „Kreative Stadt“ endeten gestern früh mit einem erneuten Polizeieinsatz. Brennende Straßenbarrikaden wurden vor der Roten Flora gelöscht und entfernt, ebenso brennende Müllcontainer in mehreren Nebenstraßen. Zwei Polizisten wurden durch Flaschenwürfe aus einer Ansammlung von „bis zu 100 grölenden Randalierern“, so die Polizeidarstellung, leicht verletzt.
Echt kreativ, das alles.