„Klimapolitik bringt neue Ungleichheit“

Seit gestern sitzen die Experten des UN-Klimarates (IPCC) in Brüssel zu den letzten Beratungen über den zweiten Teil ihrer Klimastudie zusammen. Der Bericht soll am 6. April vorgestellt werden. Der Klimarat will die Regionen der Welt vorstellen, die besonders hart vom Klimawandel betroffen sein werden und vermehrt Überschwemmungen, Dürren oder Wassermangel befürchten müssen. Dazu gehören Afrika und die arktischen Gebiete. Hier werden sich die Lebensbedingungen stärker als andernorts ändern. Im Mai will das Gremium dann in einem dritten Bericht Vorschläge zu Lösungsmöglichkeiten machen. taz

INTERVIEW HANNES KOCH

taz: Herr Beck, Politik und Öffentlichkeit in Deutschland sind sich weitgehend einig, dass wir trotz des Klimawandels unser bisheriges Lebensmodell fortführen können. Marktwirtschaft, Wachstum und der Anspruch auf größeren Wohlstand stehen nicht in Frage. Teilen Sie den Optimismus?

Ulrich Beck: Nur zum Teil. Die befürchtete Klimakatastrophe und ihre politischen Konsequenzen können natürlich auch zu Lasten bestimmter Bevölkerungsgruppen gehen. In Großbritannien diskutiert man jetzt darüber, einen privaten Emissionshandel einzuführen. Jeder Bürger dürfte nur noch einen begrenzten Ausstoß von klimaschädlichem CO2 verursachen. Wer mehr verbrauchen will, müsste extra bezahlen. Arme Leute und solche, die ein knapp kalkuliertes Mittelschichtdasein führen, wären davon am meisten betroffen. Die könnten dann mit dem Auto nicht mehr hinfahren, wo sie wollen.

Die Bundesregierung verspricht dagegen, dass alle gewinnen. Der Verkauf deutscher Windanlagen und Sonnenkollektoren soll das Klima retten und gleichzeitig mehr Jobs bringen. Glauben Sie an die Versöhnung des Sozialen mit Ökologie und Ökonomie?

Es entstehen neuartige Zwangsmärkte mit enormen Gewinnaussichten. Zugleich aber ist absehbar, dass die ökologische Revolution zu erheblicher, neuer Ungleichheit führt. Und daraus können große Proteste entstehen. Den Klimakonsens organisieren augenblicklich die Politiker. Wie sich die Bürger dazu stellen, bleibt abzuwarten. Weil sie Einschränkungen befürchten, wollen sich die Betroffenen vielleicht gar nicht an dem neuen Konsens beteiligen.

In Ihrem Buch „Risikogesellschaft“ haben Sie geschrieben, dass die neuen globalen Risiken Arm und Reich gleichermaßen treffen. In der „Weltrisikogesellschaft“ ziehen Sie nun eine andere Schlussfolgerung. Was hat sich geändert?

1986 hatte ich die Extremsituation vor Augen, die dann durch die Atomkatastrophe von Tschernobyl auch Wirklichkeit wurde. Die Reichen flüchteten auf irgendwelche Inseln. Aber sie stellten fest, dass die nukleare Wolke sie dort einholte. Der Klimawandel wirkt anders. Wird eine Hafenstadt infolge des steigenden Meeresspiegels überschwemmt, bauen sich die Wohlhabenden neue Häuser auf den Hügeln. Die Armen haben diese Möglichkeit nicht.

Um Bürger mit geringen Einkommen durch teure Klimaschutzmaßnahmen nicht über Gebühr zu belasten, müsste man die Energiesteuern und CO2-Gebühren eigentlich progressiv gestalten.

Ja, Wohlhabenden sollte man einen höheren Beitrag für den Klimaschutz abverlangen als Armen.

Die Kraftfahrzeugsteuer dürfte sich künftig nicht nur am Benzinverbrauch und CO2-Ausstoß orientieren, sondern auch am Kaufpreis des Wagens. Luxusmodelle wären damit teurer als Kleinwagen.

Während eine einheitliche Energiesteuer neue Ungleichheiten hervorruft, würde dieser Effekt mit einer progressiven Steuer zumindest gemildert. Aber darüber müssen wir intensiv nachdenken. Der Horizont solcher Möglichkeiten öffnet sich erst.

Lässt sich die Klimakrise bewältigen, wenn das alte Dogma des Wirtschaftswachstums bestehen bleibt?

Das Mengenwachstum der Produktion wird zunehmend problematisch. Die Spannung zwischen Klimaschutz und Wirtschaftswachstum ist nicht zu übersehen. In seinem Aufsehen erregenden Klima-Report bezeichnet der ehemalige Weltbank-Ökonom Nicholas Stern die globale Klimaveränderung als das größte Marktversagen in der Geschichte. Wenn wir weiter auf die Mechanismen des Marktes vertrauen, werden wir die Klimakrise nicht lösen. Dieser Punkt wird in der deutschen Diskussion noch viel zu wenig wahrgenommen. Auch die Grünen müssen ihr marktwirtschaftliches Kleindenken überprüfen und sich für die Perspektiven der großen Politik öffnen.

Wenn der Markt versagt hat – was kommt danach?

Mehr politische Regulierung, Gesetzgebung und Rahmensetzung durch die Staaten und internationalen Institutionen. Das fordern mittlerweile ja selbst die Konzerne. Weil die Unternehmen sich Sorgen um die künftige Stabilität ihrer Märkte machen, verlangen sie von den Regierungen eine wirksame Politik zum Schutz des Klimas. Das neoliberale Bündnis zwischen Konzernen und Regierungen, bei dem es um Deregulierung und die Schwächung des Staates ging, ist zerbrochen.

Wenn der Markt nicht mehr funktioniert und Wirtschaftswachstum nicht die Lösung sein kann – hat der Kapitalismus dann noch eine Zukunft?

Der uns bekannte Kapitalismus verändert seine Prämissen, sein Gesicht. Im 19. und 20. Jahrhundert gab es vergleichbare Situationen. Der Kapitalismus wurde als Ergebnis sozialer Kämpfe „sozial“, mit dem Wohlfahrtsstaat entstand eine neue Variante.

Globale Risiken wie der Klimawandel, die Gefahr von Finanzkrisen und Terrorangriffen haben in Ihren Augen den alten Fortschrittsglauben des Industriezeitalters zerstört. Aber ist der Begriff der Weltrisikogesellschaft gerechtfertigt? Wurden die Menschen nicht auch früher von Armut, Kriegen und Wirtschaftskrisen – also unkalkulierbaren Risiken – bedroht?

Der Unterschied besteht darin, dass man früher annahm, die Unsicherheiten durch immer neue Modernisierungen und bessere Technologien auffangen zu können. Dieses Selbstbewusstsein, diese Leitidee der Kontrollierbarkeit ist spätestens durch die Umweltkrise erschüttert worden.

Nicht nur SPD-Umweltminister Sigmar Gabriel erzählt, wir könnten den Klimawandel durch sparsame Motoren und saubere Kraftwerke in den Griff bekommen. Das alte Fortschrittsmodell erfreut sich immer noch großer Beliebtheit.

Nur bedingt. Heute braucht man Lösungen, die nicht an den Grenzen des Nationalstaates haltmachen, sondern international wirken. Sonst ist kein Kraut gegen den Klimawandel gewachsen. Das aber bedeutet, dass die Staaten kooperieren müssen. Plötzlich geht es um internationale Machtverteilung und globale Gerechtigkeit. Die Entwicklungsländer leiden am meisten unter dem Klimawandel, obwohl sie am wenigsten für ihn verantwortlich sind. Indem man sich nur auf alte Technik und Dogmen verlässt, kommt man nicht weiter.

ULRICH BECK, 62, ist einer der bekanntesten deutschen Soziologen der Gegenwart. Er lehrt an der Münchner Universität und der London Scholl of Economics and Political Science. Berühmt wurde er 1986 mit seinem Buch „Risikogesellschaft“, das kurz nach der Katastrophe von Tschernobyl erschien. Die Druckfahnen waren gerade raus, als am 26. April ein Reaktor in dem ukrainischen Atomkraftwerk durchbrannte. Beck ergänzte das Vorwort, dann kam das Buch in die Geschäfte. Mitte März ist Becks neues Buch „Weltrisikogesellschaft“ erschienen.

Die Inszenierung des Klima-Risikos als mögliche Katastrophe setzt uns alle unter einen enormen Druck. Ist dieser Stress gerechtfertigt?

Wir erleben einen fundamentalen Wandel. Bislang galt das Laisser-faire-Prinzip: Solange eine Gefahr nicht bewiesen war, wurde man auch nicht aktiv. Neuerdings schalten wir um zum Vorsorgeprinzip: Wenn eine Gefahr nicht auszuschließen ist, muss man Vorsicht walten lassen – also auch möglichst schnell Maßnahmen gegen den Klimawandel ergreifen. Diese Inszenierung erzeugt einen hohen Handlungsdruck.

Deutsche Wissenschaftler haben gerade ausgerechnet, wie viele Menschen in 70 Jahren aufgrund der Klimaveränderungen zusätzlich sterben. Weil derartige Ergebnisse von vielen Variablen abhängen, ist ihre Aussagekraft beschränkt. Lohnt es sich, daraus politische Konsequenzen zu ziehen?

Aussagen über globale Risiken vergegenwärtigen eine inexistente Zukunft. Vieles können wir gar nicht wissen. Aber wir müssen so tun, als ob wir es wüssten. Sonst stellen wir in 50 Jahren eventuell fest, eine verhinderbare Katastrophe nicht verhindert zu haben.

Die Bundesregierung kommt mit vielen Problemen im Inland nicht zurecht. Soziale Polarisierung, Arbeitslosigkeit und die Bildungsmisere sind kaum zu lösen. Weicht man nicht gerne auf die Klimakatastrophe aus, weil man sich damit international so schön in Szene setzen kann?

Eine solche Ablenkungspolitik ist durchaus denkbar. Vielleicht aber bringt die neue internationale Kooperation nicht nur gemeinsame Maßnahmen gegen den Klimawandel hervor, sondern auch gemeinsame Konzepte gegen die Arbeitslosigkeit.

Haben Sie den Eindruck, dass Umweltminister Gabriel und Bundeskanzlerin Angela Merkel Ausweichpolitik betreiben?

Nein, das kann man so nicht sagen. Aber beide praktizieren teilweise eine doppelte Moral. Auf der Ebene der europäischen Politik inszenieren sie sich als die Vorreiter des Klimaschutzes. Dann wieder vertreten sie die kurzsichtigen Interessen der deutschen Autoindustrie und verhindern strenge Grenzwerte für den Ausstoß von schädlichen Abgasen. Großes Vertrauen in die Klimapolitik schafft das nicht.