: Politiker wollen Aufbau West
Parteiübergreifend fordern die Landtagsfraktionen mehr Mittel für arme Städte auch im Westen. Ost-Minister Tiefensee wiegelt ab: Solidarpakt bleibt. Miniprogramm für schwache NRW-Städte
VON MARTIN TEIGELER
Die Wessis wollen die Ossis besser kontrollieren: Die NRW-FDP forderte gestern, finanzielle Unterstützung für Kindertagesstätten (Kita) in den neuen Bundesländern an Fördernachweise zu knüpfen. Milliardensummen aus dem Westen würden in Ostdeutschland „vielfach rechtswidrig in konsumptive Bereiche fließen“, kritisierte der Generalsekretär der NRW-FDP, Christian Lindner. Eine Einbeziehung der neuen Bundesländer in die Kita-Förderung könne deshalb „nur in Verbindung mit einer Nachweispflicht über die korrekte Verwendung der bisherigen Milliardenzahlungen aus dem Westen erfolgen“, sagte Lindner.
Der FDP-Vorschlag ist nur die jüngste Forderung in einer munteren NRW-Debatte über die Überversorgung in der Ex-DDR. Am Montag war CDU-Familienminister Armin Laschet in die Diskussion um einen Ausbau der Kinderbetreuung in der Bundesrepublik eingestiegen. Es komme darauf an, dass dort geholfen werde, wo Bedarf bestehe, sagte er. Der Westen habe dem Osten in den vergangenen Jahren in vielem geholfen. Wenn nun bei den Krippenplätzen der Osten einmal vorn liege und der Westen mehr Bedarf habe, „dann sollte man das Geld dahin geben, wo der Bedarf ist“. Bislang liegt der Versorgungsgrad bei den unter Dreijährigen in ostdeutschen Bundesländern wie Sachsen-Anhalt bei 50 Prozent – in NRW sind es knapp sieben Prozent.
Am Wochenende hatte die SPD-Landeschefin Hannelore Kraft die Solidarität mit dem Osten problematisiert. „16 Jahre nach der Einheit müssen wir endlich davon wegkommen, Unterstützung nach der Himmelsrichtung statt nach der Bedürftigkeit zu verteilen“, sagte die NRW-Oppositionsführerin in einem Interview. Es gehe nicht an, dass das schuldenfreie Dresden jährlich 300 Millionen Euro Fördermittel erhalte, während Städte im Ruhrgebiet nicht mehr wüssten, wie sie ihre Kindergärten bezahlen sollten. Trotzdem müssten sie weitere Schulden machen, um Geld in Boom-Regionen im Osten zu überweisen.
Ist es nun der Neid auf schickere Straßen und modernere Kita-Betreuung, die NRW-Politiker gegen den neureichen Osten wettern lässt? „Es geht hier um Fragen der Gerechtigkeit: Ist es gerecht, dass in den Osten Gelder fließen, obwohl es – gerade auch in NRW – Westgebiete gibt, die auch von sehr hoher Arbeitslosigkeit betroffen sind“, fragt der Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der Uni Duisburg-Essen. „An solche Gerechtigkeitsempfindungen versuchen die Parteien zu appellieren, wenn sie Kürzungen für den Aufbau Ost fordern“, so der Parteienforscher. Allerdings sei dies nicht ungefährlich. „Solidarische Einstellungen sind in der Bevölkerung weit verbreitet und akzeptiert: Das gilt für wohlfahrtsstaatliche Programme ebenso wie für den Aufbau Ost“, sagt der Wissenschaftler.
Umstritten ist die Geldumleitung vor allem bei den klammen NRW-Kommunen. Seit 1991 sind die Städte in den so genannten Solidarpakt eingebunden. Allein in den Jahren 2005 und 2006 brachten die NRW-Kommunen jährlich rund 500 Millionen Euro auf, die in Ostdeutschland für kommunale Investitionen zur Verbesserung der Infrastruktur eingesetzt werden sollten. Duisburg hat trotz Schulden von 1,6 Milliarden Euro 470 Millionen Euro für den Aufbau Ost aufgebracht. Dortmund hat bei einem Schuldenstand von 932 Millionen Euro 410 Millionen Euro gezahlt.
SPD-Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee lehnte den Vorstoß seiner Genossin Kraft dennoch ab: „Es gibt einige wenige Städte und Regionen im Osten, die zum Westen aufgeschlossen haben“, sagte der Ostdeutsche. Für schwache NRW-Städte verwies Tiefensee auf das Stadtumbau-Programm West. Dafür stehen im Jahr 2007 rund 50 Millionen Euro bereit. Zum Vergleich: Laut Solidarpakt erhält der Osten bis 2019 Zahlungen in Höhe von 160 Milliarden Euro.
Schützenhilfe erhielt SPD-Wessi Kraft deswegen vom Ex-Koalitionspartner. „Es kann nicht sein, dass in ostdeutschen Bundesländern Mittel zweckentfremdet werden, die für den infrastrukturellen Sonderbedarf gedacht sind – zum Beispiel für Gebäudesanierung“, kritisierte Grünen-Fraktionschefin Sylvia Löhrmann. „Diese falsch verausgabten Mittel müssen zurückgezahlt werden, damit sie im föderalen System gerechte Verwendung finden.“