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Archiv-Artikel

Wochenend und Sonnenschein

Am ersten schönen Apriltag soll die Schöpfung gefeiert werden: mit Naturbewunderung DAS SCHLAGLOCH von RENÉE ZUCKER

Renée Zucker lebt als freie Publizistin in Berlin.

Seit ich zum ersten Mal „Desolation Row“ hörte, ist kein April vergangen, in dem ich nicht zu T. S. Eliot griff. Ezra Pound and T. S. Eliot fighting in the captain’s tower. Ezra Pound war auch schön, aber T. S. Eliot blieb. Welchen Dichter liest man sonst so saisonal? April is the cruellest month, breeding lilacs out of the dead land … Dabei fing er diesmal so sanft an. Aber das Verführerische ist ja quasi die Obereigenschaft der Grausamkeit.

Nach tagelangem Hin-und-her-Geflatter und endlosen Diskussionen, immer wieder von flotten Lufttänzchen unterbrochen, haben sich die schüchternen Blaumeisen endlich entschlossen, das Superduper-Luxusapartment auf meinem Nordwestbalkon zu beziehen. Mit Pool, Ligusterstrauch und ab und an ein paar Walnussstückchen. Das entschädigt offenbar für die prollige Nachbarschaft: eine Spatzen-Halbstarkenclique, deren Familie seit einigen Generationen in jedem April den Kasten nebenan bezieht.

Einer ist jetzt noch frei. Ich hoffe immer noch darauf, dass mein alter Kohlmeiserich, der vor zwei Jahren hier aus dem Nest schlüpfte und der letzte von vieren war, die den Balkon im triumphalen Steilflug verließen, seine Frau doch noch überreden kann, hierher zu ziehen. Leider ist der Kasten von allen dreien die primitivste, weil älteste Behausung. Ich musste schon zwei Stellen, an denen das Holz gerissen war, mit Gaffatape kleben.

Herr Blaumeise war die ganze letzte Woche damit beschäftigt, eventuell ins Flugloch hineinragende, nahezu unsichtbare tausendstel Millimeter des Tapes abzuknispern, bis sich die Dame seines Herzens und Mutter seiner zukünftigen Kinder am Ende doch für den schickeren Neubau entschloss. Damit sich jetzt alle an unsere Lebensabschnitts-WG gewöhnen können, spiele und singe ich ihnen in unregelmäßigen Abständen die derzeit angesagte Musik vor. Seit drei Tagen müssen sie sich abwechselnd Gomez und Alabama3 anhören.

Bei manchen Songs kann’s auch etwas lauter werden. Die Spatzen beeindruckt das nur mäßig, sie sind wie alle Mitglieder großer Clans zu sehr mit eigenen Angelegenheiten beschäftigt, während die Blaumeisen nach anfänglicher Irritation meinen Krach mit dem gleichen Flügelzucken hinnehmen wie die lärmende Spatzenbagage.

So begann der grausamste Monat. Und weil er in diesem Jahr an einem Sonntag begann, ging es gleich weiter mit städtischer Naturbewunderung bei Kaiserwetter. Zu einer Love-Parade der ganz eigenen Art strömten die berlinischen Massen in den Botanischen Garten, um zwischen Staudenhändlern, Gewächshäusern und Biogrill in einen Pflanzenkaufrausch zu verfallen, der sich gewaschen hatte. And went on in sunlight, into the Hofgarten.

Besonders anfällig für die Kombination von Wochenend und Sonnenschein und offenbar jeder Menge bewusstseinsöffnender Pollenflüge scheinen Damen unter vierzig zu sein. Sie schleppten gleich Kübelweise Kamelien ab. Vermutlich ohne jemals Alexandre Dumas gelesen zu haben, aber die weiche Üppigkeit der roten und weißen Blüten muss sämtliche Ängste vor dem Austicken biologischer Uhren besänftigt haben. Und sogar ich vergaß die Angst vor Altersdemenz (oder erlag ihr einfach fröhlich) und kaufte eine sündhaft teure Pfingstrosenknolle, die weder zu diesem Pfingsten blühen wird noch eigentlich auf dem Balkon etwas zu suchen hat. Aber schließlich hielt Carmen Maura vor nahezu zwanzig Jahren am Rande des Nervenzusammenbruchs sogar Enten auf dem Balkon, da kann ich wohl ein bisschen mit einer Pfingstrose spinnen. A little life with dried tubers.

Und während sich Berlintouristen im Schlosspark von Spenden bettelnden Parkbediensteten abzocken ließen – entgegen der preußisch königlichen Anordnung, dass dieser Park für das Volk offen und frei zu sein habe – so feierten Staudenliebende aus Ost und West, von Stadt und Land gemeinsam und glücklich den Einzug des Ostermond- und Wandelmonats, in dem sich die ersten Knospen öffnen und immerhin seit dem 16. Jahrhundert wie eine kleine Warnung vor zu viel Idyllenliebe so mancher harmlose Scherz auf gegenseitige Kosten getrieben wird.

Ich jedenfalls falle getreulich auf jeden rein. Am meisten getroffen hat mich diesmal die Telepolis-Meldung, Mac-Benutzer seien besonders anfällig für Kreationismus. Nicht nur teilen Apple und Kreationisten den gleichen Slogan „Think different“, beide Anhängergruppen halten sich für etwas Besonderes und neigen zu extremer Idealisierung. Je länger ich den Artikel las, umso deutlicher wurde mir die Gefahr, in der ich schwebte, wie ein Hypochonder erkannte ich sämtliche Symptome wieder – andere Telepolis-Leser offenbar auch, denn große Empörung einerseits und Schmäh und Häme andererseits machten sich in den Kommentaren Luft. Und dass mit Steve Jobs was nicht stimmt, wissen ja sowieso alle.

Trotzdem plädiere ich unbedingt für einen weiteren, variablen Feiertag – beim ersten schönen Tag im April sollte die Schöpfung gefeiert werden. Da wären dann auch Eva Hermann und die Kreationisten wieder mit dabei. Sowieso ist einem doch an solchem Tag sämtliches Elend der Welt für ein paar Stunden scheißegal. Das internationale Motto für diesen Tag gab Alfred Kerr einst seiner Tochter Judith mit auf den Weg: „Du musst glücklich werden. Tu es.“

Zur Vervollkommnung des ausgeführten Befehls plädiere ich ab sofort für ein Verbot von Fahrradhelmbenutzung für Menschen über sechs Jahre. Alberne Erwachsene im Outfit von Teletubbies verschandeln mit zunehmender Wärme das Stadtbild, weil sich die Ängstlichen nun auch wieder auf ihre dreifach gesichert- und gefederten Citybikes setzen. One must be so careful these days.

Alberne Erwachsene im Teletubbie-Outfit verschandeln mit zunehmender Wärme das Stadtbild Damen unter vierzig schleppen Kamelien gleich kübelweise ab. Ich kaufe mir eine Pfingstrosenknolle

Für diese Klientel wird vermutlich auch die endlose Kinderbetreuungsdebatte geführt. Generation depressiv und unselbstständig. Wer keine Kinder bekommt, weil er keinen Krippenplatz sicher hat, sollte es lieber sein lassen. Allmählich kriegt das Ganze ja einen Kampagnencharakter der Sorte: „Sie werfen, wir betreuen!“

Wieso sind eigentlich Kinderläden ausgestorben? Weil die, die sie eingerichtet haben, sie nicht noch mal für ihre Enkel aufbauen wollen. Die haben jetzt andere Prioritäten. I read, much of the night, and go south in the winter. Wo einst bunt bemalte Schaufensterscheiben von Kinderläden kündeten, sind jetzt jede Menge Künstliche-Nägel-, Fußpflege- und Kosmetikstudios. Botox to go. Unbeugsame, viereckig gefeilte Fingerschilder und keine Erschöpfungszeichen im Gesicht bei denen, die dafür sorgen, dass immer weitergedreht wird. Dabei soll doch der Trend zum Downshifting gehen. Weniger Arbeiten, mehr Leben.

„Get a Life“ raunten schon 2001 die jungen weißen Bettler in Manhattan vorbeieilenden Borderline-Brokern zu, und nun ist es auch in Europa angekommen, nachdem alle Ratgeberliteratur zum Zeit-Management vergeblich gelesen wurde. Das ist vielleicht ein guter Trend. Wer mehr Zeit hat, kann langsamer Fahrrad fahren und braucht keinen Helm. Werdet glücklich. Tut es. Shantih shantih shantih.