Gründen Sie lieber keine Galerie!

KUNSTSZENE In Berlin schließen mal wieder ein paar Galerien. Das ist schade, aber nicht lebensgefährlich für die Kulturstadt. Jedenfalls noch nicht. Eine Bestandsaufnahme wenige Tage vor der Berlin Art Week

■ Kommenden Dienstag startet die dritte Berlin Art Week. Wer sich wirklich gewissenhaft auf diese gebündelte Woche Kunst vorbereiten will, braucht schon etwas Zeit, um sich durch alle Angebote auf www.berlinartweek.de zu klicken – oder ersatzweise in der dickleibigen Programmbroschüre zu schmökern: Sechs Tage Kunst satt mit Ausstellungseröffnungen, Künstlergesprächen, Konzerten, Partys und Performances erwarten die Besucher.

■ Im Zentrum der von Galerien, Kunstinstitutionen und dem Senat veranstalteten Kunstwoche stehen zwei Messen: Die abc art berlin contemporary in den alten Postsortierhallen am U-Bahnhof Gleisdreieck präsentiert vom 18. bis 21. September 110 Einzelpositionen zeitgenössischer Kunst aus einem internationalen Galerienspektrum. Die Positions Berlin (18.-21. September) im ehemaligen Kaufhaus Jandorf in der Brunnenstraße will schlaglichtartig auf die Kunstszene Berlins schauen.

■ Messe heißt Geschäft. Dass es eben darum geht bei der Berlin Art Week, unterstreicht die internationale Konferenz Artfi – The Fine Art & Finance Conference, die Einblicke in den globalen Kunstmarkt geben will.

■ Das Sechstageticket zurBerlin Art Week kostet 30 Euro, ermäßigt 22 Euro, das Zweitageticket gibt es für 20/15 Euro.

■ Die durch die Berlin Art Week geschaffene Aufmerksamkeit wollen auch weitere Galerien und Kunstinstitutionen mit Ausstellungseröffnungen nutzen. Erstmals präsentiert sich dabei Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst in der ehemaligen Kindl-Brauerei in Neukölln. Am heutigen Samstag um 18 Uhr eröffnet die privat finanzierte Institution ihren Ausstellungsbetrieb mit einer Schau des Schweizer Künstlers Roman Signer, die er eigens für das Kindl-Kesselhaus entwickelt hat. (tm)

VON INGO AREND

Ein flaches Backsteingebäude in einem begrünten Hinterhof. Am Eingang des zweistöckigen Maisonette-White-Cube mit großen Glasfenstern prangt ein poliertes Goldschild mit drei schwarzen Buchstaben: AJL. Anna Jill Lüpertz, die Berliner Galeristin, die sich hinter dem Kürzel verbirgt, verfolgt eine Doppelstrategie. Mit einer „nomadischen Galerie“ stellt sie wechselnde Künstler an wechselnden Orten aus.

Seit Anfang letzten Jahres ist ein fester Ort hinzugekommen. Nach „Galeriensterben“ sah es Mitte August im Backyard eines noblen Stadtpalais an der Potsdamer Straße, einen Steinwurf von der Nationalgalerie, nicht gerade aus. Bei der Eröffnung von AJL’s Sommerausstellung war es proppevoll.

Galeriensterben – das Reizwort grassiert in der Berliner Szene wie einst der Warnruf vor der Pest. „Ist der Traum gefährdet?“, sorgte sich selbst die FAZ nach einer Stippvisite ihrer Kunstmarktexpertin im „Galeriezentrum von Deutschland“. Als ob die hiesige Szene eine Art Vorbote sei. Andererseits: Mit der Galerie von Martin Klosterfelde und Lena Kiessler schloss vor gut einem Jahr natürlich kein ganz unwichtiger Player an der Spree. Schließlich hatte der Galerist zur mythischen Gründungsszene Mitte der neunziger Jahre in der Auguststraße in Mitte gezählt. Bis er im neuen Hype-Quartier an der Potsdamer Straße sein Quartier aufschlug – flankiert von der Editionengalerie seiner Mutter.

Wie Joanna Kamm, deren Galerieschließung die Szene kurz darauf erneut erschütterte, hatte Klosterfelde zu den Begründern der „abc“ gehört. Mit dem kleinen, feinen, clever verhypten Kunstmessen-Projekt in den alten Postsortierhallen am U-Bahnhof Gleisdreieck hatten ein paar Berliner Galerien 2011 dem von der Messe Berlin veranstalteten Art Forum den Todesstoß versetzt.

Klosterfelde und Kamm waren nicht die Einzigen, die das Handtuch warfen. Auch Thore Krietemeyer in Kreuzberg gab vor Kurzem auf und will sich jetzt auf „kuratierte Projekte“ konzentrieren. Doch auch wenn es damit zum Auftakt des Kunstherbstes nach endemischem Galeriensterben aussieht: Mancher Freitod hat dann doch nur persönliche Gründe.

Für Martin Klosterfelde war, wie er später erläuterte, der neue Job als „Director and International Specialist“ für „Contemporary Art“ beim Auktionshaus Phillips in Berlin einfach lukrativer. Kein Wunder: Der globale Konkurrenzdruck im Kunstmarkt ist enorm, Messepräsenz, Marketing und Branding sind alles. Irgendwann geht in diesem Zirkus auch dem enthusiastischsten Galeristen die Luft aus. Immerhin: Schwergewichte wie Contemporary Fine Arts, Judy Lübcke mit Eigen+Art oder Esther Schipper erfreuen sich guter Gesundheit. Ebenso lebt Max Hetzler, ein Urgestein nicht nur der Berliner Szene. Als internationales Schwergewicht kann er sich noch eine Galerie im noblen Pariser Marais-Viertel leisten. Aber auch an ambitionierten Mittelfeldspielern mangelt es in Berlin nicht: Isabella Bortolozzi am Schöneberger Ufer, Thomas Fischer, Cinzia Friedländer, Sassa Trülzsch rund um die Potsdamer Straße demonstrieren schon länger den Spagat zwischen Markt und anspruchsvoller Kunst.

Zu wenige Sammler

Stets stoßen Neue hinzu: Gigiotto del Vecchi und Stefania Palumbo mit Supportico Lopez zum Beispiel. Und das Beispiel von Johann König, der gerade das Ensemble der ehemaligen St.-Agnes-Gemeinde in Kreuzberg zu einem umschwärmten Kreativzentrum der kunstreligiösen Art entwickelt, zeigt, dass die Berliner Galeristinnen der ewig schwelenden Standortkrise immer wieder mit ungewöhnlichen Projekten zu begegnen wissen. „Wir sprechen nicht gern von Galeriensterben“, sagt Anemone Vostell, Geschäftsführerin des Landesverbandes Berliner Galerien, „eher von erschwerten Bedingungen“.

Gesundschrumpfen wäre vielleicht eine passendere Vokabel für den jüngsten Trend. Streng genommen gibt es zu viele Galerien in Berlin. Eine Studie des Instituts für Strategieentwicklung (BISE) im vergangenen Jahr legt nahe, dass es für eine Stadt mit so wenig kaufkräftigen Sammlern mit den rund 230 Galerien eher zu viel als zu wenig dieser Institute gibt. Die mögen damit kämpfen, dass sich der Kunstmarkt gerade weltweit in lukrative Megagalerien und ein hechelndes Mittelfeld aufspaltet. BISE-Geschäftsführer Hergen Wöbken sieht bei den existierenden Galerien aber auch viel „Dilettantismus“ am Werk.

„Galeristen vermeiden oder vermengen gerne alle möglichen Fragen“, hat der Analyst beobachtet, „zum Beispiel, ob sie eher Distinktionsgewinne, Künstlerförderung oder Geldgewinne erzielen wollen. Bevorzugen sie Selbstausbeutung, Mäzenatentum oder ein funktionierendes Geschäftsmodell? Wollen sie Unternehmer sein oder Kulturmanager? Einen freien Markt oder Kulturförderung? Wenn Transparenz und Ehrlichkeit fehlen, vor allem im Bezug der Galeristen auf sich selbst, dann werden Entscheidungen meist nicht bewusst getroffen, dann findet eher ein Erleben als ein Handeln statt. So stehen sich Galeristen selbst im Weg“.

Wer den Satz „Freundschaft als Geschäftsmodell“ hört, mit dem David Lieske, Biance Heuser, Jack Gross und Peter Kersten die Idee hinter ihrer Charlottenburger Avantgarde-Galerie Mathew beschreiben, ahnt, was Wöbken mit seiner Warnung meinen könnte.

Wir brauchen Cash

In diese Kategorie dürfte auch Oliver Koerner von Gustorff fallen. Fragt man den Tausendsassa der Kunstszene, warum er seine 2007 gegründete Kultgalerie September diesen Sommer (zum zweiten Mal) schloss, antwortet er gern so kokett wie selbstkritisch mit einer Mischung aller dieser Gründe. Angesichts solcher Fälle ist es auch kein Wunder, dass der smarte, junge Unternehmensberater Magnus Resch in einem gerade erschienenen Management-Ratgeber Kunstliebhabern in spe den Rat „Gründen Sie lieber keine Galerie“ gibt. „Galerien, die allein mit junger Kunst handeln, können gar nicht profitabel arbeiten“, dämpft er die in Berlin besonders notorischen Hoffnungen auf die ästhetisch veredelte Existenz als Kunsthändler. Und pocht auf die Erkenntnis: „Mehr Kommerz für die Kunst – Galeristen müssen Manager sein, keine Künstler“.

Dennoch: Dass die wegen ihrer Formatexperimente viel gelobte Kunstmesse Preview vor Kurzem auseinanderbrach, zeigt, dass es Berliner Galerien nicht nur an professionellem Management und der „Vision-Mission“ gebricht. Sie kämpfen auch mit ökonomischen Strukturproblemen. Die Stadt mag ein Hype-&-Event-Standort sein. Ihr fehlt aber der Humus aus Geld und Renommé à la Benelux, der den Neustart der scheintoten Art Cologne ermöglicht hat. Die neue Showbid, die die Preview-Strategen im Kunstherbst eigentlich auflegen wollten, sollte mit einer Auktion beschlossen werden. Deutlicher konnten seine Macher nicht signalisieren: Wir brauchen Cash.

Der Mangel an Kaufkraft war auch der Grund für den Ausstieg von Moeller Fine Arts am Tempelhofer Ufer in Kreuzberg. Die auf teure Klassische Moderne spezialisierte Galerie hat sich auf ihren Stammsitz New York zurückgezogen. Nicht zuletzt Martin Klosterfelde begründete seinen Ausstieg mit dem Satz: „Vom Kunstverkauf an Sammler in Berlin kann man immer noch nicht leben.“ Ob der abtrünnige Preview-Partner, Kristian Jarmuschek nun im ehemaligen Jugendstil-Modekaufhaus Jahndorf an der Invalidenstraße mit seiner neuen Kunstmesse Positions, mehr Cash-Cows, Pardon: vermögende Sammler anlocken wird, muss er erst noch unter Beweis stellen.

Der globale Konkurrenzdruck ist enorm, Messepräsenz, Marketing und Branding sind alles

Gestorben wird immer und überall. Dieses Gesetz gilt auch auf dem Kunstmarkt. Niemand wird gezwungen, Galerist in Berlin zu werden. Mag der Beruf an der Spree auch besonders aufregend sein. Jeder weiß: Die Teilnahme an diesem tendenziell absurden Endgame der Wertbildung ist ein Spiel mit dem Risiko. 40 Prozent der Galerien bundesweit machen Verluste. Insofern gibt es keinen Grund, direkt politisch zu intervenieren, wenn ein paar Galerien schließen. Trotzdem sollte die Politik im Auge behalten, was sich in diesem Sektor tut.

Im Institut der Galerie überkreuzt sich individuelles und kollektives Kulturengagement. Auch wenn die beliebten „Projekträume“ ihnen darin inzwischen heftige Konkurrenz machen: Galerien ermöglichen es einem flüchtigen Laufpublikum, die eigene Wahrnehmung zu schulen und mit der ästhetischen Entwicklung Schritt zu halten. Auch als kommerzielle Häuser öffnen sie Räume für den Diskurs und die Geschmacksbildung von vielen. Andere Räume eben als Kaufhäuser, Parkhäuser oder Blumengroßmärkte: In Berlin sind das allein 60.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche.

Kurswechsel nötig

Leider mangelt es ausgerechnet an dieser vorausschauenden Strukturpolitik in einer Stadt, die wie keine andere berufen wäre, aus ihrer Not – dem Mangel an industrieller und dem Überangebot an immaterieller Arbeit – einen Standortvorteil zu schmieden. Ob ein Nachfolger Klaus Wowereits den dringend nötigen Kurswechsel in der Liegenschaftspolitik und beim Standortmarketing vornimmt, steht in den Sternen.

Kulturstaatssekretär Tim Renners pessimistische Prognose, dass Kunst und Kultur in 15 Jahren aus Berlin verschwunden sein könnten, signalisiert ein neues Problembewusstsein der Politik. Seinen Lippenbekenntnissen wird die Szene freilich erst Glauben schenken, wenn ihnen Taten folgen. Für Ralf Schmitt, Kodirektor der verblichenen Preview, müssten sich Instrumente wie die vom Land Berlin ins Leben gerufene konzertierte Aktion der Berlin Art Week „an die Potenziale und Stärken der Stadt angleichen, und nicht umgekehrt“. Andernfalls entpuppten sich, so der frustrierte Messemacher, derlei Dachmarken als „kurzfristiges Standort- und Eventmarketing ohne Konzept und Perspektive“. Über Nacht löschte die Berliner Art Week die von Schmitt dort angemeldete Messe Showbid aus dem Programm. Und entschied sich für das Projekt seines Expartners Jarmuschek.

Das Beispiel Köln zeigt, wie es eine Stadt vermasseln kann. Nach dem Epochenbruch 1989 flog die rheinische Galerienszene auf den Magneten Berlin und ließ die Art Cologne einen grausamen Siechtod sterben. Die Stadtoberen am Rhein setzen sich eine Basecap auf und hofften, die Verluste mit der DOM-Arena, Jugendkultur und RTL kompensieren zu können. Die Rechnung ging nicht auf. Von der europäischen Kulturmetropole blieb nur ein Raum der bunten Leere. Auch wenn der Maler Gerhard Richter der heraufdämmernden Berliner Republik demonstrativ den Rücken kehrte und in Kölns Belgischem Viertel wohnen blieb.