Spuren und Symptome

Was gewesen ist, wird immer wieder gegenwärtig. Thomas Elsaesser befasst sich in seiner Studie „Terror und Trauma. Zur Gewalt des Vergangenen in der BRD“ mit der RAF, der Schoah und der Art, wie das deutsche Nachkriegskino damit umgeht

Mit dem Begriff des Traumas kehrt die Realität zurück in den Diskurs – allerdings entstellt und über viele Umwege

von SIMON ROTHÖHLER

Vor bald zehn Jahren erschien Kirby Farrells Studie zur „Posttraumatischen Kultur“. Sie brachte eine Debatte auf den Punkt, die Mitte der 1990er Jahre intensiv geführt wurde und nach dem 11. September 2001 erneut aufflammte. Farrell löste die Traumakategorie aus ihrem ursprünglichen klinischen Bedeutungszusammenhang heraus und bezog sie auf den Zustand einer verunsicherten Kultur vor dem Millenniumswechsel. Es ging nicht mehr um ein „Ereignis im Leben des Subjekts“ (Jean Laplanche), sondern um einen historisch angeblich notwendig gewordenen psychokulturellen Mechanismus des permanenten „Terrormanagements“ (Farrel). Das erstmals 1980 bei Veteranen des Vietnamkriegs offiziell diagnostizierte „posttraumatische Stress-Syndrom“ hat in dieser Logik den gesamten amerikanischen Gesellschaftskörper infiziert.

Der Amsterdamer Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser betritt also ein nicht eben unbespieltes Feld, wenn er seine gerade im Kulturverlag Kadmos erschienene Aufsatzsammlung mit dem Buchtitel „Terror und Trauma – Zur Gewalt des Vergangenen in der BRD“ überschreibt. In dem Band enthalten sind vorwiegend Übersetzungen bereits publizierter Texte (unter anderem in der Fachzeitschrift Screen), in denen Elsaesser sich mit der deutschen Nachkriegsfilmgeschichte im Allgemeinen und der Oberhausener Autorenfilmergeneration im Besonderen auseinandersetzt. Den ausführlichen Essays zu Rainer Werner Fassbinder, Alexander Kluge und dem Einzelgänger Herbert Achternbusch gibt Elsaesser durch die neu geschriebene Einleitung einen nachträglichen traumatheoretischen Rahmen, mit dem er im Kern zwei Ziele verfolgt. Zum einen geht es um die Reformulierung größerer Theoriekontroversen aus filmwissenschaftlicher Perspektive. Zum anderen entwirft Elsaesser ein Scharnier, das Filmgeschichtsschreibung und Filmtheorie, die als Subdisziplinen häufig getrennte Wege gehen, produktiv verbindet.

Im theoretischen Zentrum seiner Überlegungen geht Elsaesser von einer strukturellen Affinität von Trauma und Kino aus – „denn dort verdichtet sich Realität zu Affekt, und was gewesen ist, wird immer wieder gegenwärtig und präsent gemacht“. Wenn er das Trauma als in der Latenz gehaltene Spur des Vergangenen versteht, so erkennt er darin einen Weg, „wiedererlangte Referenzialität“ zu denken. Die Konjunktur der trauma studies wird dabei selbst als Symptom lesbar und verweist auf das Verlangen der Geistes- und Kulturwissenschaften, wieder verstärkt von etwas auszugehen, das nicht immer schon und immer nur Text, schöner Schein, Spiel der Signifikanten ist. Anders gesagt: Mit dem Traumabegriff kehrt die Realität als Widerstand zurück.

Dies geschieht auf eine Weise, dass auch die Dekonstruktion sich nicht beschweren kann, findet Elsaesser: „Trauma wäre eine Bezeichnung für eine Referenzialität, die sich nicht mehr in einer konkreten Zeit oder an einem konkreten Ort ansiedeln lässt […], dessen Zeit-Raum-Ort-Referenzialität gleichwohl postuliert/positioniert ist“. Die Faktizität der Geschichte findet über Umwege ins Bild und manifestiert sich dort in Formen, die nicht einfach als Abbildungen fungieren, sich aber auch nicht im cleanen Raum der Simulation selbst genug sind. Es geht um eine Spur, die existiert, aber schwer lesbar ist, weil sie sich als Symptom verkleidet.

Dieses Moment der komplexen Verschiebung, die von etwas ausgeht, das selbst unverfügbar ist, hält Elsaesser für hochgradig anschlussfähig – ob es nun um bestimmte Aspekte zeitgenössischer Blockbuster-Ästhetiken geht, die im computergenerierten Bildraum immer noch auf den „realen“ Körper des Schauspielers als Fluchtpunkt angewiesen sind, oder um die traumatophile Struktur von Medienereignissen wie dem Tod von Prinzessin Diana. Die Traumakategorie soll nicht nur einer avancierteren Hermeneutik den Weg weisen, sondern zugleich Fragen wie die nach der Zirkulationslogik von Medienbildern im öffentlichen Raum einbeziehbar machen.

Diese größeren theoretischen Zusammenhänge vermitteln sich jedoch nur bedingt in die einzelnen Filmanalysen, die – auch weil sie zeitlich früher und unabhängig entstanden sind – eher weniger als Anwendung und Konkretisierung des Traumaparadigmas funktionieren. Dennoch bietet sich die Kategorie für eine übergeordnete Perspektive auf die deutsche Nachkriegsfilmgeschichte an, weil sie deren Topoi theoretisch vorsortiert.

Dabei liegt Elsaesser auch daran, die schlichte These von der Wiederkehr des Verdrängten im Gewand der visuellen Kultur zu verkomplizieren. In der periodisch aufflackernden „Bildgegenwart“ der RAF sieht er einen Modus, in dem „die deutsche Gesellschaft am leichtesten und sogar am angenehmsten mit sich selbst kommunizieren“ kann. Die Heimsuchung ist keine, sondern ein Medium, in dem die etablierten Akteure der politischen Öffentlichkeit Positionsbestimmungen organisieren, die vor allem mit der Gegenwart zu tun haben.

Daneben zeichnet Elsaesser auch nach, wie die filmischen Bezugnahmen auf die Schoah in größere geschichtspolitische Weichenstellungen eingebunden sind. Während die Filme der Oberhausener Generation die These nahelegen, „dass eigentlich nirgends die Abwesenheit des Holocausts präsenter ist als im Neuen Deutschen Film“, kommt es in den 1990er Jahren – man denke an die Filme von Joseph Vilsmaier und Max Färberböck – zu positiven Versöhnungsfiktionen. Wo Achternbuschs „Das letzte Loch“ (1981) in rustikalem Überschwang Fehlleistungen stapelt und sämtliche „Klischees des deutschen Vergangenheitsfilms“ gleichzeitig parodiert, und Kluge mögliche und unmögliche Formen der Trauerarbeit zu unterscheiden versucht, setzt sich in der Nachfolge eine allgemeine Tendenz zur „Selbstumschreibung von einem ,Tätervolk‘ in eine ,Opfernation‘“ durch, die in Großprojekten wie „Der Untergang“ und „Dresden“ ihr filmpolitisches Vehikel findet. Elsassers Buch überzeugt nicht nur in der Vielfalt und Aktualität seiner Bezüge, sondern auch als historiografisches Modell: Es liefert einen Rahmen, in dem sich weitere Geschichten schreiben lassen.

Thomas Elsaesser: „Terror und Trauma. Zur Gewalt des Vergangenen in der BRD“, Kulturverlag Kadmos, Berlin 2007, 224 Seiten, 18,50 Euro