: Blick zurück bei Graupensuppe
KONSTANZ Die Stadt am Bodensee und der Schweizer Thurgau erinnern an das Konzil vor 600 Jahren. Vier Jahre Streit um Macht, Geld, Einfluss, vier Jahre touristisches Marketing
■ Tourist Information Konstanz, Bahnhofplatz 43, 78462 Konstanz, Tel. /0 75 31) 13 30, www.konstanz.de
■ Arenenberg Hier lebte im 19. Jahrhundert die Famile Bonaparte im Exil. Im Schloss mit Blick auf den Bodensee wuchs der junge Napoleon III. auf. Heute können Besucher durch die Parkanlagen und den mittelalterlichen Garten streifen. www.tourismus-untersee.eu; www.napoleon3d.de/frames/main.php
■ Kartause Ittingen Die über 800 Jahre alte Stiftung Kartause Ittingen in Warth ist ein ehemaliges Kloster der Kartäuser. Der Ort verfügt über eine private Molkerei, ein Restaurant und Hotelzimmer. www.kartause.ch/
■ Buchtipps „Das Konstanzer Konzil. Weltereignis des Mittelalters 1414–1418“. Katalog zur Ausstellung, die am 21. September endet, 382 Seiten, 29,90 Euro. Aufsatzband 247 Seiten, 39,95 Euro. Das Konzil steht im Mittelpunkt des Krimis „In Nomine Diaboli“ von Henry Gerlach und Monika Göbel, 12,99 Euro.
■ Auch der Roman von Petra Gabriel, „Der Ketzer und das Mädchen“, spielt im Konstanz des Jahres 1414, 12,99 Euro. „Die Gans ist noch nicht gebraten. Ein Lesebuch zum Konstanzer Konzil“, 17,99 Euro.
VON EDITH KRESTA
Die vollbusige Frauenfigur ist aus Beton gegossen, neun Meter hoch, 18 Tonnen schwer. Sie dreht sich um ihre eigene Achse. Ihr Bauchnabel und das rechte Bein sind unbedeckt. In ihren erhobenen Händen trägt sie zwei nackte Männlein. Die sogenannte Imperia steht lasziv im Hafen der Bodensee-Stadt. Nur von fern erinnert sie an die keusche New Yorker Freiheitsstatue. Der Bildhauer Peter Lenk, der auch den übermächtigen Penis des Bild-Chefs Kai Dickmann am taz-Haus kreierte, machte mit Anspielung auf das Konstanzer Konzil (1414–1418) eine üppige Hübschlerin, eine Prostituierte zum Wahrzeichen der Stadt. Der Mann in ihrer rechten Hand trägt auf seinem Haupt die Königskrone und hält einen Reichsapfel; die Figur in ihrer Linken trägt eine päpstliche Tiara und sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen. Eine Anspielung auf die Akteure des Konzils: Kaiser Sigismund und die Päpste, auf die weltliche und geistige Macht im Mittelalter. Kaiser und Papst getrieben von ihren Trieben und dadurch Spielball in den Händen der Verführerin?
Konstanz 1414. Die christliche Welt Europas pilgert hierher. Bis 1418, vier Jahre lang, dauerte das Konzil. Ein mittelalterlicher Großevent. Zu seinem Beginn gab es drei konkurrierende Päpste, am Ende wieder einen. König Sigismund, Sohn von Karl IV., hatte das Konzil nach Konstanz einberufen, um die Kirchenspaltung zu beenden, was ihm gelang. Sein Porträt findet man heute als Wandbild in der Augustinerkirche in Konstanz. Die dortigen Fresken zeigen die Protagonisten des Konzils. König Sigismund um die Jahreswende 1417/18 ein Gast des Augustiner-Klosters, stiftete die Ausmalung des Kircheninneren. Da Sigismund Konstanz auf seinen Schulden sitzen ließ, ist fraglich, ob er die Maler tatsächlich bezahlte. 1417 wurde ein neuer Papst, Martin V., gewählt – die einzige Papstwahl nördlich der Alpen, der einzige Erfolg des Konzils.
Damals, zwischen 1414–1918, wurde Konstanz mit seinen knapp 7.000 Einwohnern zum Zentrum Europas. Eine logistische Herausforderung. Die Stadt soll ständig um die 10.000 Gäste beherbergt haben. Sie wurden versorgt von 73 Geldwechslern, 230 Bäckern, 70 Wirten, 225 Schneidern, 310 Barbieren und 700 Prostituierten. Ulrich von Richental, Konstanzer Bürger und Chronist seiner Zeit, hat die Ereignisse in seiner üppig illustrierten Handschriften-Chronik festgehalten. Als Ulrich Richental verkleidet, bieten heute Stadtführer Konzilsspurensuche an.
Alltag im Mittelalter: gottesfürchtig, schmutzig, unwissend, derb, intrigant, ausschweifend. Doppeldeutig, was der Minnesänger Oswald von Wolkenstein zum Konstanzer Konzil schrieb: „Denk ich an den Bodensee, tut mir gleich der Beutel weh.“ Der Tiroler Ritter und Sänger war wohl der berühmteste Konstanzer Konzilsmusiker.
Nun hat die Stadt Konstanz vier Jahre ein zugkräftiges Thema, auch touristisch. „Das Konzilsereignis wird allerdings nicht gefeiert“, betont Dominik Gügel, der redegewandte Historiker. „Denn dort wurde auch der tschechische Kirchenkritiker Jan Hus verbrannt.“ So gedenke die Stadt lediglich ihrer mittelalterlichen Bedeutung. Dominik Gügel ist Konstanzer und Direktor des Napoleonmuseums auf dem Arenenberg im 20 km entfernten Schweizer Thurgau. Er ist mitverantwortlich für die Thurgauer Jubiläumsaktivitäten. „Ohne den Thurgau kein Konzil“, sagt er beim Gang durch die Altstadt von Konstanz. Der Schweizer Thurgau, dieses Konstanzer Hinterland mit gut erhaltenen Fachwerkdörfern und der hügeligen, fruchtbaren Landschaft, versorgte die Konzilsgäste mit Fleisch, Getreide, Wein. „Und die Thurgauer Dörfer, Landsitze, die Klöster wie die Kartause von Ittingen oder Fischbach beherbergten einen Großteil der Konzilsgäste“, sagt Gügel
„Nur ein Idiot möchte verkennen, welch vollkommene Sicherheit auch welcher Reichtum an Lebensmitteln und welch angenehmes Klima hier vorhanden sind“, berichtet König Wladislav Sagiello von Polen und Litauen, so dokumentiert im Konstanzer städtischen Museum. Und der Florentiner Humanist Benedikt de Pileo berichtete: „Es gibt hier herrliches Weißbrot, einen Wein, der besser ist als unser Falener, Fleisch aller Art, Milch, Käse, Eier, Fisch, Äpfel, die jetzt sogar noch frisch sind.“
Konstanz, die heutige Studentenstadt am Bodensee mit ihren rund 80.000 Einwohnern, quillt am Wochenende über. Schweizer, die hier ihre Drogerieartikel billig einkaufen, und Konzilstouristen. Vor dem ehemaligen „Kaufhaus“ das mittelalterliche Lagerhaus direkt am Hafen, das dann zum Konzilsgebäude wurde, drängeln sich die Besucher. Hier wählte die Konklave am 11. November 1417 Oddi di Colonna zum Papst Martin V.
„Papst, Mittelalter und Weltereignis, das trifft den heutigen Zeitgeist angesichts der Globalisierung und eines Papstes mit einem gewissen Popfaktor“, sagt Karin Stober vom badischen Landesmuseum, zuständig für die Konzilsausstellung im Kaufhaus. „Durch die kulturelle und intellektuelle Dichte während der Konzilsjahre hat sich die Welt mit einem Ruck Richtung Humanismus und Renaissance weiterentwickelt“, behauptet Stober.
Auch im Münster, in dem das Konzil 45 Mal tagte, drängeln sich die Besuchergruppen. Dort wurde der böhmische Kirchenkritiker Jan Hus verurteilt. Seine Asche wurde in den Rhein gestreut. Heute erinnert das Hus-Museum in der Hussenstraße 64 an seine Glaubensvorstellung, sein Wirken. Es wurde erbaut vom tschechischen Staat mit Unterstützung der Stadt Konstanz. Der Böhme Hus ist tschechischer Nationalheiliger. Viele Besucher des Museums, auch die Frau am Empfang, sprechen Tschechisch. Aus Böhmen verbreitete sich die Lehre des radikalen Theologen. Jan Hus predigte Armut, schimpfte über den Lebensstil der Geistlichen, über Prasserei, Ablass und Hurerei als Teufelswerk. Hus kam nach Konstanz unter Zusicherung des freien Geleits durch König Sigismund. Er kam, um seine Lehre vor dem Konzil zu verteidigen. Er bezahlte es mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen: am 6. Juli 1415 wurde er verurteilt und verbrannt. Ein Jahr später ereilte seinen Gefährten Hieronymus von Prag dasselbe Schicksal. Das kommende Konzil-Jahr 2015 ist – politisch korrekt – Jan Hus gewidmet mit Themen wie Toleranz und Umgang mit Andersgläubigen.
Dominik Gügel, der Historiker, führt durch die Gassen der Altstadt, um zu zeigen, wie die Konstanzer damals lebten: beengt, schlammige Straßen, damals stinkend vor Unrat. Als im April 1418 das Konzil endet, tritt die Stadt wieder von der Bühne ab. Wenig später kommt die Pest.
Gügel, der auch Direktor des Napoleonmuseums auf dem 20 km entfernten Arenenberg ist, zeigt den dortigen Garten. Eine Gartenanlage, wie sie im Spätmittelalter, zur Zeit des Konzils, auf Landsitzen üblich gewesen sein soll. „Das kommt bei den Besuchern und Konzilstouristen sehr gut an“, sagt er. Der Duft von Blumen, blühende Rosensträucher und Wildkräuter, Ruhe, das Plätschern eines kleinen Springbrunnens, dazu die angenehme, weibliche Stimme auf dem Audioguide, die von der Konstanzer Notablen-Familie Tettikover, die hier wohnte, erzählt – Mittelalter zum Anfassen.
Und zum Schmecken: Konzilsbier, Konzilsmenü mit Bodenseefelchen und Fleisch, Graupensuppe, Salat und viel Brot. Ja, selbst die Rebsorten von damals werden in den Gaststätten des Thurgaus kredenzt. Das Konzil ist ein werbewirksames Label für Konstanz und den umliegenden Thurgau und ein lohnender Blick zurück auf den gottesfürchtigen Sündenpfuhl.