: „Neonazis kopieren RAF-Anwälte“
Der Mannheimer Staatsanwalt Andreas Grossmann über sein Vorgehen gegen Holocaust-Leugner, die Prozesstaktik ihrer Anwälte und die Tatenlosigkeit der Politik
ANDREAS GROSSMANN, 45, ist Staatsanwalt in Mannheim. Vorher war er zwei Jahre lang Richter.
taz: Herr Grossmann, Sie haben die Holocaust-Leugner Ernst Zündel und Germar Rudolf angeklagt. Jetzt wollen Sie auch die rechtsextremistischen Anwälte Jürgen Rieger und Sylvia Stolz vor Gericht bringen. Sind Sie der Nazijäger vom Dienst?
Andreas Grossmann: Natürlich könnten auch anderswo in Deutschland Staatsanwaltschaften aktiv werden. Schließlich stellen die führenden Revisionisten ihre Hetzschriften ins Internet. Und dort können sie überall gelesen werden.
Andere Staatsanwaltschaften halten sich zurück.
Mag sein. Bei der Staatsanwaltschaft in Mannheim hatte allerdings schon mein Vorgänger seit Jahrzehnten gegen die führenden Revisionisten ermittelt. Als er vor zwei Jahren in den Ruhestand ging, habe ich seine Akten übernommen. Kurz danach wurde dann der rechtsextremistische Hochkaräter Ernst Zündel von Kanada nach Deutschland abgeschoben.
Vor allem im Prozess gegen Zündel haben die Anwälte um Rieger das Verfahren zur medialen Verbreitung ihrer Thesen genutzt. Kann das der Sinn der Sache sein?
Richtig ist, dass Zündel vor dem Verfahren nur einer sehr kleinen Szene bekannt war. Jetzt kennen ihn alle Zeitungsleser und Fernsehzuschauer in Deutschland. Richtig ist auch, dass die Anwälte das Verfahren dazu genutzt haben, ihre rechtsextremistischen Thesen vor einem größeren Publikum vorzutragen. Aber die Alternative wäre, solche Prozesse nicht zu führen. Das würde bedeuten, dass Leute wie Zündel ihre Holocaust-Thesen auf jedem Marktplatz verkünden dürfen. Das können wir als demokratische Gesellschaft nicht wollen.
Ist das Ihre Meinung als Staatsanwalt – oder Ihre persönliche Meinung?
Das deckt sich. Natürlich lassen einige Länder solche Hetzer gewähren. In den USA zum Beispiel wird die Meinungsfreiheit höher bewertet. Bei uns aber ist die Gesetzeslage eindeutig. Und das ist gut so.
In den Verfahren gegen Holocaust-Leugner werden die Richter ständig provoziert, das Verfahren wird chaotisiert und verschleppt. Haben Sie so etwas in anderen Verfahren schon erlebt?
Ich persönlich nicht, aber da haben sich die Neonazis wohl einiges von den RAF-Anwälten der Siebzigerjahre abgeschaut. Auch damals schon sollte den Richtern der letzte Nerv geraubt werden, da wurde herumgeschrien und getobt. Auch bei den Prozessen gegen die RAF haben sich Anwälte so aufgeführt. Horst Mahler, der sich vom Links- zum Rechtsextremisten gewandelt hat, ist ein Kronzeuge dafür.
Nach Zündels Verurteilung steht die von seiner Ehefrau in den USA betreute „Zundelsite“ weiter im Netz, sie ist auch von Deutschland aus abrufbar. Fühlen Sie sich von der Politik allein gelassen?
Die Politik muss die Internetdienstleister mehr in die Pflicht nehmen. Sie muss die Provider gesetzlich dazu verpflichten, Websites mit antisemitischen und volksverhetzenden Inhalten zu sperren oder ganz aus dem Netz zu nehmen. Bei Kinderpornografie sagt ja auch kein Provider, er müsse sich darum nicht kümmern. Da wird gehandelt. Das muss auch bei rechtsextremistischen Inhalten möglich sein. INTERVIEW: KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT