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Archiv-Artikel

Zähes Ringen um Herointherapie

Nicht mal drei Monate, dann wäre kontrollierte Heroinabgabe an Schwerstabhängige verboten. Politiker von Regierung und Opposition kämpfen um eine neue Rechtsgrundlage. Absurd: Sie haben genug Stimmen, scheitern aber vielleicht trotzdem

AUS BERLIN MARTIN MÜLLER

„Ich wog nur 48 Kilo, bei einer Größe von 1,70 Metern. Meine Adern waren durch das verdreckte Straßenheroin so verstopft, dass es meist Stunden dauerte, um mir einen Schuss zu versetzen.“ So schilderte ein schwer heroinabhängiger namens Peter in einer Studie des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg seine Situation. Der Mann hatte von der Studie, bei der Abhängige Diamorphin, synthetisch hergestelltes Heroin, erhielten, erfahren und sein Leben änderte sich.

Die Studie umfasste Modellprojekte in Hamburg, Hannover, Köln, Bonn, Frankfurt, Karlsruhe und München. Sie war auf Süchtige ausgerichtet, bei denen eine Substitution zum Beispiel mit Methadon versagt hatte. Das synthetisch hergestellte Heroin verbesserte ihren Gesundheitszustand deutlich. Doch Ende Juni läuft die Sonderregelung für die Abgabe der Droge aus. Im Bundestag kämpfen Abgeordnete von SPD, FDP, Grünen und Linksfraktion dafür, dass die Projekte nicht illegal werden – gegen Widerstand aus CDU und CSU.

Durch die Teilnahme am Diamorphin-Projekt fühlte sich der Abhängige Peter besser, baute wieder Kontakt zu seiner Familie auf und fand eine Stelle. „Ohne das Medikament würde ich jetzt noch einsam in meiner Wohnung sitzen, zusätzlich Straßenheroin spritzen und nicht am Leben teilnehmen“, sagt er.

Um das Projekt zu sichern, gibt es zwei praktisch identische Gesetzentwürfe im Bundestag: Diamorphin soll als verschreibungsfähiges Betäubungsmittel eingestuft werden. Hinter dem Entwurf der Oppositionsparteien stehen fast alle Abgeordneten von FDP, Linkspartei und Grünen, den SPD-Entwurf befürworten immerhin 160 Sozialdemokraten. „Bisher haben wir 146 Zustimmungen innerhalb der Oppositionsparteien“, sagt der Initiator Detlef Parr, drogenpolitischer Sprecher der FDP. Der Entwurf wird vermutlich Ende April verhandelt. Eine Unterstützung durch die SPD hält Parr für sinnvoll, die Gesetzentwürfe seien ja fast deckungsgleich.

Voraussetzungen für eine Diamorphintherapie sind eine seit mindestens fünf Jahren bestehende Abhängigkeit, mindestens zwei fehlgeschlagene Behandlungen und die Vollendung des 23. Lebensjahrs.

Doch trotz der breiten Unterstützung im Bundestag könnten die Anträge scheitern. Zum einen, wenn sowohl die Opposition als auch die SPD nur für ihren eigenen Entwurf stimmen, zum anderen, wenn die Chefs der Union, die die Ergebnisse der Heroinstudie anzweifeln, in der großen Koalition einen Fraktionszwang durchsetzen.

„Die Mehrheit der Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion spricht sich gegen die weitere Vergabe von Heroin an Schwerstabhängige aus“, erklärt Maria Eichhorn, drogenpolitische Sprecherin der Union. Die Methadonbehandlung sei überlegen, dazu noch billiger. Die Befürworter aber erwarten sich von der Diamorphintherapie langfristig sogar Einsparungen.

Einen Ausweg aus der möglichen Bundestagsblockade gibt es aber noch: eine Bundesratsinitiative. Denn Unions-Politiker aus Städten mit Modellprojekten unterstützen die Heroinabgabe an Schwerstabhängige. Das CDU-regierte Hamburg strebt einen Antrag im Bundesrat an, in Nordrhein-Westfalen und Hessen unterstützt die CDU die Initiative. „Wir werden versuchen, die Leute zu überzeugen, die eine andere Meinung haben“, sagt Olaf Böttger, Drogenpolitiker der Hamburger CDU-Fraktion.

Sollte die Überzeugungsarbeit im Bundesrat Erfolg haben, stiege der Druck auf die Union im Bundestag. „Die Entscheidung sollte vom Fraktionszwang ausgenommen werden“, fordert Parr. Der Meinung ist auch Johannes Jung, der Initiator des sozialdemokratischen Entwurfs: „Das beste Argument für eine Gewissensentscheidung hat ja Volker Kauder selbst geliefert.“ Der Unions-Fraktionschef hatte jüngst erklärt, die 300 noch in Therapie befindlichen Schwerstabhängigen müssten weiterbehandelt werden.

Für Jung ist der SPD-Entwurf keine Aktion gegen den Regierungspartner: „Die Diskussion geht ja quer durch die Linien der Union. Wir haben mit Sicherheit eine Mehrheit im Parlament und im Bundesrat.“ Umso absurder, dass der Entwurf trotzdem scheitern könnte. Am Widerstand der Unions-Chefs.