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Archiv-Artikel

MICHA BRUMLIK ÜBER GOTT UND DIE WELTEin Museum für ostasiatische Kunst am Rand der Karmelberge Der Kaufhauserbe – ein Gedenkblatt

Im Staat Israel wird seit 1951 der 27. Nissan des jüdischen Kalenders, der Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Getto 1944, als Gedenktag für die Opfer der Schoah begangen. Im weltlichen Kalender fällt dieser Tag in der Regel auf Anfang Mai, auf diese Tage.

Der Blick fällt auf das südwestliche Galiläa: Am Rand der Karmelberge, südöstlich von Haifa, liegt der in den 1930er Jahren von Angehörigen der aus Berlin stammenden jüdischen Jugendbewegung „Werkleute“ gegründete Kibbuz „Hasorea“; heute nicht mehr ganz so kommunistisch wie früher, aber ob seiner Kulturveranstaltungen, seiner Zierfischzucht und Touristik gut aufgestellt. Geht man ein paar Minuten durch die landwirtschaftliche Kollektivsiedlung, so wird man zwischen Bäumen, vor einem mäßig geschorenen Rasen einen weißen, länglichen Flachbau entdecken, ein kleines Museum. Dessen Exponate – ostasiatische Vasen und Stoffbilder sowie Buddhafiguren – wollen so gar nicht in gerade diese Landschaft passen. Warum in aller Welt findet sich ausgerechnet am Rand der Karmelberge ein Museum für ostasiatische Kunst?

Die Gründer von Hasorea haben Deutschland lange vor Beginn des systematischen Massenmords, 1933/34, verlassen. Sie und ihre Nachfahren gedenken heute des Holocaust, indem sie an einen Mann erinnern, dem die ausgestellten Ostasiatica zu Lebzeiten gehörten und die dem Kibbuz testamentarisch übereignet wurden. Bei dem Erblasser handelt es sich um eine Gestalt, die der Welt – wenigstens indirekt – bekannt ist: aus der ob der furiosen Liza Minelli berühmten Verfilmung des Musicals „Cabaret“. Die Story zum Film führt in die letzten Jahre der zwischen Lebenshunger und existenzieller Angst taumelnden Weimarer Republik. „Cabaret“ beruht auf dem Roman „Berlin, Berlin“ von Christopher Isherwood, der von 1929 bis 1933 neugierig, aber auch schockiert Deutschland bereiste und in Berlin lebte. Isherwood wohnte in der Nollendorfstraße, verkehrte in der bildungsbürgerlich schwulen Szene um den Sexualforscher Magnus Hirschfeld, war aber auch mit dem philanthropischen Kaufhauserben Wilfried Israel bekannt, der in „Cabaret“ als „Bernhard Landauer“ erscheint.

10.000 Kinder gerettet

„Bernhard Landauer“ alias Wilfried Israel wurde 1899 in London geboren, wuchs in Berlin auf und trat 1921 in die Leitung des bekannten Kaufhauses „Nathan Israel“ ein. Kurz vor Hitlers Überfall auf Polen (r)emigrierte der in London geborene Wilfried Israel nach Großbritannien. Schon 1938 war Wilfried Israel, ein aktiver Unterstützer jüdischer Selbsthilfeorganisationen, zusammen mit dem geistigen Repräsentanten der noch in Deutschland lebenden Juden, Rabbiner Leo Baeck, nach England gereist, um Flucht- und Ausreisechancen für verfolgte Juden zu sondieren. Dem Mitarbeiter des „Zentralausschusses für Hilfe und Aufbau“ und Verantwortlichen der „Kinder- und Jugendalyah“ ist die Rettung von etwa zehntausend jüdischen Kindern zu verdanken.

1940 war Wilfried Israel in England behilflich, jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland, im Königreich als „Enemy Aliens“ interniert, das Leben zu erleichtern. Von London aus, wo er mit einem Angehörigen des deutschen Widerstands, Adam Trott zu Soltz, bekannt war, reiste er 1943 nach Spanien und Portugal, um dort gestrandeten Juden zu helfen, nach Nordamerika oder in das damalige Palästina zu gelangen. Tatsächlich konnte im März 1944 das dank seiner Bemühungen unter portugiesischer Flagge fahrende Schiff „Nyassa“ 750 Passagiere in Haifa an Land bringen – die größte Zahl der auf einem Schiff übers Mittelmeer geretteten Juden.

Freilich war es Wilfried Israel nicht mehr vergönnt, diese Frucht seiner Bemühungen zu erleben, da er schon am 1. Juni 1943 starb. Ein Fernbomber des Typs Junkers Ju 88 von Hitlers Luftwaffe schoss ein britisches Zivilflugzeug, den in Portela gestarteten Flug 777 der BOAC, am 1. Juni 1943 über dem Golf von Biskaya ab. Wilfried Israel war nicht der einzige prominente Passagier, der dabei ums Leben kam: Mit ihm wurde der aus den Filmen „Scarlet Pimpernel“ und „Vom Winde verweht“ bekannte Schauspieler Leslie Howard abgeschossen. Wie Wilfried Israel beteiligte auch er sich aktiv an der Aufklärung der Welt über die Verbrechen der Nationalsozialisten. Nach Bekanntwerden des Abschusses titelte Goebbels Angriff höhnisch: „Pimpernel Howards letzte Reise“. Vermutlich hatte die deutsche Abwehr angenommen, dass sich der britische Premier Winston Churchill im Flugzeug befand.

Das Kaufhaus „Nathan Israel“, in dessen Leitung Wilfried Israel als junger Mann eintrat, lag an der Spandauerstraße 28 in Berlin. In Hasorea, im Galil, erinnert ein Museum für ostasiatische Kunst an diesen Menschen, der Tausende gerettet hat. In Berlin, jener Stadt jedoch, in der er sein Wirken begonnen hatte, ist noch nicht einmal eine Straße nach ihm benannt. Immerhin: An der Ecke Spandauer/Rathausstraße erinnern zwei „Stolpersteine“ des Künstlers Günther Demming an das Kaufhaus und seinen Erben, den zivilen Helden Wilfried Israel.