Das Konzept Kindheit

Auch eine Präsentationslogik: Museumsdirektor Jan Hoet übernimmt für das MARTa in Herford eine Kindermöbel-Schau vom Möbel Museum Wien – und integriert sie in seine Ausstellung zur Kindheit

VON BEATE DEPPING

Allein für den Ausstellungstitel „Wäre Albrecht Dürer heute Kind, würde er sicher MARTa Herford besuchen“ gab es schon vor Ausstellungseröffnung Schelte. In der Tat trägt er wenig dazu bei, den Einstieg in Jan Hoets buntes Kuriositäten-Kabinett zu erleichtern oder auch nur schmackhaft zu machen – Werke von Dürer jedenfalls gibt es nicht zu sehen. Und das ist bemerkenswert. Ansonsten haben die Herforder nämlich so einiges aus der Kunst- und Kulturgeschichte in ihrer Ausstellung zusammen gepackt. Auf den ersten Blick will manches aber so gar nicht zusammen gehören.

Da sind zuerst einmal die Kindermöbel. Tische und Stühle im Miniatur-Format, die ihren Einzug in die Kinderzimmer hielten, seitdem das Zeitalter der Aufklärung die Kindheit als eigenen Lebensabschnitt entdeckt hatte. Zunächst als aufwändige Einzelanfertigungen für Adel und Großbürgertum. Später dann im Zuge der Industrialisierung als Massenanfertigung für den Otto Normalverbraucher. Früh entdeckten Designer Kindermöbel für sich. Deshalb sind auch so renommierte Namen wie Thonet, Josef Hoffmann, Marcel Breuer, Gerrit Rietveld oder Alvar Aalto bei der Schau dabei.

Wie Spielzeug in einem Sandkasten zusammengewürfelt präsentiert das MARTa die Möbel in der Mitte der Säle. Aber auch auf kleinen weißen Podesten. Und auf einem hohen über den Köpfen der Besucher. Eine Anordnung, die den erwachsenen Betrachter in die Situation eines Kindes versetzt und zum Perspektiv-Wechsel einlädt. In scheinbar endloser Reihung präsentieren sich im ersten Obergeschoss dagegen puppenhafte Figurinen von Marliz Frencken. Hier, so ahnt man, ist ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen: Leuchtend bunte Frauenfiguren erinnern an überzuckerte Kleinmädchenträume zwischen Tiffany und Barbie-Puppe. Direkt gegenüber das Kontrastprogramm: Kleinkinder mit großen ernsten Augen, die zu wissen scheinen, dass zu ihrer Zeit das Thema Kindheit noch keines war. In kostbare Gewänder gekleidet, repräsentieren sie Pracht und Reichtum ihrer Eltern und das Selbstbewusstsein einer ganzen Gesellschaft. Selbst die Rasseln, die manche Kleinen in Händen halten, waren nie Spielzeug, sondern sind ebenfalls wertvolle Accessoires aus Silber und Koralle – eigens für die Porträts gefertigt.

Dann ist da noch der Panamarenko-Saal. Dem belgischen Künstler (67, eigentlich Henri van Herwegen) und dessen „poetischen Konstruktionen“ von monumentalen Ausmaßen, die alle funktionierende Maschinen sind, gilt Jan Hoets Leidenschaft. Bereits 1968 präsentierte Panamarenko auf Einladung von Joseph Beuys sein Flugzeug in der Düsseldorfer Kunstakademie. Früh hat auch Hoet die phantasievollen Ufos und Flugschiffe für sich entdeckt. Das erste Exponat, das er 2005 fürs nagelneue MARTa anschaffte, war das 16 Meter hohe Luftschiff, das in der aktuellen Ausstellung erstmals seinen eigens für ihn arrangierten Platz im Frank Gehry-Gebäude einnehmen kann. Ein graziles und dennoch massiges Gebilde. Es verharrt es in einem Zustand zwischen Schweben und Bodenhaftung. Fliegen kann es nicht. Aber unmissverständlich vermittelt es die Sehnsucht nach der Überwindung der Schwerkraft mit der Energie eines Kindheitstraums.

Die Schau in Herford ist eher Experiment denn etablierte Ausstellung und fordert Sehgewohnheiten heraus. Wer die Herausforderung aber annimmt, dem erschließt sich ein Blick auf das, was unter dem Begriff Kindheit verstanden wird, nämlich zu jeder Zeit etwas anderes. Den merkwürdigen Titel der Ausstellung erklärt Jan Hoet so: Dürer sei zu seiner Zeit als Reisender auch in entlegenen Orten Europas unterwegs gewesen, überall dort, wo es eben Kunst zu entdecken gab. Nun ja, etwas weit hergeholt scheint das schon.

Bis 13. Mai 2007 Infos: 05221-9944300