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Archiv-Artikel

Ist doch das sprühende Leben!

PERFORMANCE Im neuen Kreuzberger Theaterraum „Vierte Welt“ treffen sich zwei alte Kommunisten und streiten über Utopie und Wirklichkeit einer grandios gescheiterten Idee

Wann begann der Kommunismus, sich gegen seine eigenen Kinder zu wenden?

VON JESSICA ZELLER

„Lass uns nicht vom Kommunismus reden. Warum dieser Begriff, der so viel Unheil über die Welt gebracht hat?“ Die Position der „alten Kommunistin“ aus dem Osten ist klar: Kommunismus, das ist Stalin, Stasi und Schauprozesse, ein ehrgeiziges Projekt der gesellschaftlichen Gleichheit, das in seiner konkreten Umsetzung grandios danebengegangen ist. Aber, so entgegnet ihr der BRD-Genosse: Lässt sich die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums im Konsens erreichen? „Vielleicht auf der Geburtstagsfeier von Josef Ackermann im Bundeskanzleramt?“

Postmoderne Pioniere

In der Performance „Treffen sich zwei alte Kommunisten“ von Konstanze Schmitt, die am Freitag im neuen Kreuzberger Theaterraum „Vierte Welt“ Premiere hatte, wird keine einfache Lösung gesucht. „Kommunismus ist beides: die Utopie der gesellschaftlichen Befreiung und die historische Epoche, mit all ihren Fehlern und Verbrechen. „Man kann sich nicht für eine Seite entscheiden und die andere unberücksichtigt lassen“, beschreibt Schmitt die Gratwanderung des Begriffs. Ihr Stück versteht sich deshalb als ein „künstlerisches Forschungsprojekt“ und kein politisches Lehrstück.

In Zentrum stehen die gegensätzlichen Biografien aus Ost- und Westdeutschland: Sie, in der Sowjetunion aufgewachsen und als Kader in der DDR erfolgreich gewesen. Er, als aktiver Kommunist im Westen mit Berufsverbot belegt und politisch gescheitert. Die „alten Kommunisten“ sind auf der Bühne tatsächlich sehr jung. Die Schauspieler Anna Schmidt und Martin Clausen sind postmoderne Pioniere im farbenfrohen Achtziger-Jahre-Retro-Look mit einem FDJ-Tuch, das aussieht, als sei es der neuen Kollektion von American Apparel entnommen. Geradezu akrobatisch bewegen sich die beiden auf der Bühne und um sie herum und rattern den teilweise hochkomplexen Text herunter, als würden sie alltäglich über nichts anderes sprechen. Kommunismus, so vermitteln sie, ist das sprühende Leben!

Ergänzt werden die „kommunistischen Familiengeschichten“ mit linken Theorien, Überlegungen zu moderner Architektur und dem Nachspiel historischer Ereignisse, wobei die Schauprozess-Szene sicherlich zu den gelungensten gehört, bei der auch gelacht werden darf. Trotz aller Vielstimmigkeit ist Schmitts Performance kein antikommunistisches Schauspiel, sondern eine linke, ja, wenn man so will, eine kommunistische Kritik des Kommunismus. Wann begannen Menschen Kommunisten zu werden und wann begann der Kommunismus sich gegen seine eigenen Kinder und Ideen zu wenden? Die Performance geht zurück an die Anfänge des multiplen Scheiterns und fordert dazu auf, noch mal von vorne anzufangen – mit dem Denken und mit dem Handeln.

Die Rolle des Publikums verschwimmt dabei zusehends. Denn die Bühne ist an diesem Abend ein Würfel inmitten des Raums, der nicht immer von allen Seiten geöffnet ist. Die Bänke und Stühle sind um ihn herumdrapiert, was dazu führt, dass jeder Zuschauer ein anderes Bühnenbild hat. Da kann es schon mal passieren kann, dass einer der Schauspieler direkt nehmen einem steht oder man aufstehen und auf die andere Kubusseite gehen muss, um zu sehen, was denn nun gespielt wird.

„Hier gibt es kein zentrale Perspektive“, beschreibt Dirk Cieslak die Architektur der „Vierten Welt“. Das Urgestein der freien Theaterszene hat den Theater- und Produktionsraum mit seiner Gruppe Lubricat im November 2010 ins Leben gerufen und den 160 Quadratmeter großen Raum auf der Galerie des Neuen Zentrums Kreuzberg dafür komplett entkernt. Die Stücke können so praktisch überall stattfinden: in der Teeküche des Theaters, auf Leinwandprojektionen, ohne dass man die Schauspieler real sieht, oder außerhalb des Raums, tanzend auf der Balustrade, mit Blick auf die Adalbertstraße.

Neben dieser formellen Öffnung geht es in der „Vierten Welt“, der Name verrät es schon, um die soziale Einbindung und eine inhaltliche Rückbesinnung des Theaters. „Ein immer wiederkehrendes Thema in unseren Produktionen ist die Frage der Ein- und Ausgrenzung. Wer ist wann und wie ausgeschlossen und warum? Der Name ‚Vierte Welt‘ assoziiert eine Verbundenheit mit denen, die nicht dazugehören.“ Im Binnenleben des Theaters praktiziert die „Vierte Welt“ eine egalitäre Produktionsweise ohne Dramaturg, Kurator oder Projektleiter. Stücke und Performances werden in Diskussionen mit allen Beteiligten erarbeitet und durch Veranstaltungen begleitet.

Angenehm unspektakulär ist dabei der Auftritt dieses im besten Sinne innovativen Raums. Die „Vierte Welt“ hat kein Branding, macht keine Werbung und hat laut Cieslak nicht einmal eine Zielgruppe: „Wir richten uns an alle, die neue Denkräume inmitten des Konsens suchen. Wo alles die gleiche Normalität ist und Geschichte angeblich schon vorbei ist, versuchen wir Vergessenes auf die Bühne zu bringen.“

■ „Treffen sich zwei alte Kommunisten“. Weitere Termine: 6., 7., 13. und 14. Mai, jeweils um 20.30 Uhr, Vierte Welt. Kottbusser Tor. Neues Zentrum Kreuzberg, Galerie 1OG