piwik no script img

Archiv-Artikel

Judith, David und alle die anderen

THEATER STUDIEREN Die Schauspieler im Publikum biegen sich vor Lachen über die Schauspieler auf der Bühne: Die Studiobühne der Ernst-Busch-Schule spielt vier Stücke von zeitgenössischen Autoren

Ein kleiner Rest an Scham davor, sich auf der Bühne gehen zu lassen, spielt mit

VON KRISTINA RATH

Vorm bat, der Studiobühne der Hochschule für Schauspiel Ernst Busch, stehen viele gut aussehende junge Menschen und trinken Beck’s, ihr Kleidungsstil irgendwo zwischen verhalten elegant und absichtlich geschmacklos. Sie geben sich lässig: „Wir müssen doch für morgen ‚Clavigo‘ lesen, oder?“ – „Hm, ja.“– „Voll vergessen. Du?“ – „Gelesen.“ – „Und, was steht drin?“ Das ist das Besondere am Publikum des bat: Es sind mehrheitlich angehende Schauspieler Anfang zwanzig, die ihren Kommilitonen beim Arbeiten zusehen.

Das bat hat eingeladen zu „PROJEKT III/11 kompakt“. Seit März stellt sich der kommende Absolventenjahrgang Schauspiel und Regie vor, der im Herbst vor Intendanten auftreten wird, mit Hoffnung auf ein Engagement. Auf dem Programm stehen nicht etwa Monologe aus Stücken Shakespeares oder Goethes, sondern vier aktuelle Texte von den meistgespielten zeitgenössischen Autoren, von Roland Schimmelpfennig, Marius von Mayenburg, Dirk Laucke und Ewald Palmetshofer. Stoff, an denen sich die jungen Schauspieler ganz unbelastet von großen Schauspiellegenden wie Gustaf Gründgens oder Will Quadflieg erproben können.

Wut auf die Eltern

Roscha A. Säidows hat Ewald Palmetshofers „Helden“ inszeniert. Judith und David sind in Therapie, aber die ohnmächtige Wut auf ihre scheinbar perfekten Eltern will nicht weichen. Kleinigkeiten genügen, um besonders Judith auf die Palme zu bringen. Die Geschwister sind „politisch engagiert“, wie sie es nennen, was konkret heißt: Sie zünden, verkleidet als die Superhelden Spiderman und Catwoman, Brandsätze in den Kaufhäusern ihrer namenlosen Kleinstadt und hoffen auf eine Echo in den Medien. Während David gerade erst sein Philosophiestudium abgeschlossen hat, arbeitet sein Freund Paul schon seit einigen Jahren erfolgreich bei der Bank, was Davids Vater mächtig beeindruckt.

Carl Niclas Rohrwacher spielt den Paul aalglatt in engen weißen Hosen und lässig-offenem Hemd, eloquent und nur so strotzend vor Selbstbewusstsein. Er wirft mit dem Vokabular eines Motivationstrainers genauso um sich wie mit seinen Visitenkarten. Klar: Paul ist gecoacht, passend gemacht für eine Welt, in der sich Judith und David nicht heimisch fühlen – und auch nicht heimisch fühlen wollen. Sie wollen nicht integriert, nicht angepasst werden, und es bereitet ihnen größtes Vergnügen, ihre Therapeuten auszutricksen.

Wie Roscha Säidow es schafft, die Personen immer wieder neu im Raum anzuordnen – das Bühnenbild besteht nur aus einer großen Treppe – und so die Strukturen ihrer Beziehung zueinander zu verdeutlichen: das ist wirklich großartig. In ihrer Inszenierung lässt sie die Schauspieler zeigen, dass ihre Ausbildung viel mehr erfordert als die Schulung von Intellekt und Gedächtnis. Alle agieren mit vollem Körpereinsatz und einer Begeisterung, die regelrecht ansteckt. Gerade das Spiel von Antonia Bill als Mutter grenzt zuweilen an Jonglage und Artistik, wenn sie mit Hilfe von Mandarinen, Äpfeln oder Bananen mal wieder versucht, ihrer Familie etwas zu essen aufzudrängen – inklusive ihrer Liebe.

Einen Abend später stand Roland Schimmelpfennigs Stück „Die Frau von früher“ auf dem Programm, das vom Zerfall einer Ehe erzählt. Frank und Claudia sind seit 19 Jahren verheiratet; ihr Sohn Andi ist fast erwachsen. Die Familie will umziehen, die Kisten sind gepackt und schon zum größten Teil auf hoher See. Da klingelt es: Vor der Tür steht Romy, mit der Frank vor 24 Jahren kurz zusammen war. „Du hast damals gesagt, dass du mich immer lieben wirst“, sagt sie, „und ich bin gekommen, um dich an dieses Versprechen zu erinnern.“

In Zerstörung geübt

Anne Schirmacher spielt ihre Romy so beharrlich, mit solcher an Idiotie grenzender Sturheit, dass es den Zuschauer gar nicht wundert, wenn sie es letztlich schafft, die Familie zu zerstören, und zwar gründlich. Franziska Reincke als Andis Freundin Tina hingegen wünscht man dringend eine Dosis Ritalin, wenn sie wie ein Kind bei „Dingsda“ die Arme verrenkt und penetrant grimassierend mit der Hand an ihrem Rock zerrt.

Die Schauspieler im Publikum biegen sich vor Lachen über die Schauspieler auf der Bühne. Ein kleiner Rest an Scham davor, sich auf der Bühne gehen zu lassen, scheint da mitzuspielen, deshalb klatschen sie am Ende besonders laut, und man hat das Gefühl, sie applaudieren sich selbst.

■ Heute, 20 Uhr, bat: „Alter Ford Escort Dunkelblau“ von Dirk Laucke, Regie: Elsa Vortisch