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Archiv-Artikel

Ist Düsseldorf die beste Stadt?

Bei einem weltweiten Vergleich der Lebensqualität in Großstädten ist Düsseldorf als beste deutsche Stadt auf Platz Fünf gelandet – vor Berlin (16), Hamburg (24) und München (8). Kann das sein? Ist die Hauptstadt von NRW die Stadt, in der es sich hierzulande am besten leben lässt?

CHRISTIAN WERTHSCHULTE, 29, ist der einzige, der zu Fuß in die Düsseldorfer Redaktion der taz kommt. Trotzdem ist er manchmal unpünktlich, was er gerne mit der nicht vorhandenen grünen Welle an den Fussgängerampeln begründen würde. Linke Kuscheligkeit mochte er schon während des Studiums nicht.

JA

Dass der Prophet im eigenen Land nichts gilt, ist als Aussage erstmal gänzlich unprophetisch. Düsseldorf ist also die lebenswerteste Stadt Deutschlands, so zumindest eine internationale Studie. Und was melden die Augen reibenden Bekannten anlässlich des neuerlichen Ranking-Schocks? – „Ich dachte immer, das sei Münster.“ Warum auch nicht? Münster hat gemütliche Cafés, kleine, nette Buchläden und eine unüberschaubare Anzahl an fahrradfahrenden Menschen – also alles, was grün-alternative Herzen auch ohne Kerzenlicht zum Dahinschmelzen bringt.

Und Düsseldorf? Wie beim rheinischen Nachbarn Köln ist jeder Gang durch die Innenstadt eine Erinnerung an deutsche Großmachtsüchte, eine ästhetisch wenig ansprechende zumal. Ein Pluspunkt im sich nach Normalität sehnenden Deutschland und von daher per se erfahrenswert. Und auch eine zweite Sache vergisst man beim Gang durchs „Dorf“, wie es die Einheimischen gerne nennen, nur selten: G-W-G‘.

Ältere Leser kennen dies aus dem Marx-Lesekurs, jüngere aus den Reminiszenzen der Älteren, aber Düsseldorfer erfahren es jeden Tag, an dem sie mit geöffneten Augen durch ihre Stadt gehen. Nirgendwo findet man eine größere Ansammlung an architektonischen Investitionsobjekten, deren Entstehung zu Renditezwecken jedem Spaziergänger unter die Nase gerieben wird. „Wer hier ein Grundstück hatte, ist jetzt reich“, hörte ich letztens zwei Anzugträger im Medienhafen erkenntnisreich plaudern, genoss aber dennoch den unzweifelhaft wunderschönen Blick auf den Rhein. Und auch als Obdachloser lebt es sich nicht schlecht in dieser Stadt. Der gesellschaftliche Reichtum wird einem immer vor Augen geführt, sollte man das Nachtlager auf einem Lüftungsschacht auf der Kö wählen. Düsseldorf geizt nicht mit seinen visuellen Reizen.

„Nirgendwo wird einem charmanter klargemacht, dass man dich nur wegen deines Geldes mag“, kommentierte ein Düsseldorfer Bekannter die Nachricht von der internationalen Beliebtheit seines Heimatdorfs. Ein nicht unwesentlicher Teil dieses Charmes entfällt auf Oberbürgermeister Joachim Erwin, dessen stilbildende Beleidigungen ihresgleichen suchen und alle Gedankenspiele über schwarz-grüne Koalitionsvorhaben sofort diskreditieren. In Düsseldorf ist es eben noch leicht zu wissen, wo man steht.

Das Dorf ist somit die perfekte Antithese zur links-alternativen Gemütlichkeit, der Beton gewordene Beweis, dass die Sache mit dem richtigen Leben eben doch manchmal falsch ist. Und wer das auf die Dauer zu anstrengend findet – vier Mal in der Stunde fährt ein Zug nach Münster.

CHRISTIAN WERTHSCHULTE

NEIN

Dass man eine gebürtige Kölnerin nicht nach ihrer Meinung zu Düsseldorf fragen sollte, liegt auf der Hand. Sagt sie „Ja“, Düsseldorf ist die lebenswerteste Stadt in Deutschland ist, wird sie zu Hause mindestens verlacht. Sagt sie „Nein“, werden die meisten dies zweifelsohne als Ausweis eines unverbrüchlichen Lokalpatriotismus‘ nehmen, der es schlechterdings verbietet, über die traditionell verhasste Nachbarstadt ein positives Urteil zu fällen. Die Gefahr der Lächerlichkeit ist diesem Plädoyer gegen eine überzogene Lobpreisung der Landeshauptstadt also von Beginn an eingeschrieben. Sei‘s drum.

Interessant ist zunächst die erstaunliche Tatsache, dass einem die Düsseldorfer die Hauptargumente gegen Düsseldorf selbst an die Hand geben. Und damit zugleich eine Bestätigung für die immer schon gehegte Vermutung liefern, dass an Klischees immer auch das berühmte Körnchen Wahrheit haftet. Wie lauten die gängigsten Bilder von Düsseldorf? Sie sei, so heißt es, zu allererst eine Stadt des Geldes (Henkel, LTU, Eon, Vodafone, reiche Japaner) und der Mode (Königsallee, größte Modemesse der Welt); dann aber auch eine Stadt der Künste (Kunstakademie), der postmodernen Architektur (Medienhafen, Stadttor) und – nicht zu vergessen – der rheinischen Gemütlichkeit (Altstadt, längste Theke der Welt). Fragt man nun Düsseldorfer, was ihre Stadt auszeichnet, hört man das gleiche: Bei uns gibt es Jobs und Geld – das zeigt sich in schicken Bauten und einer gepflegten Rheinpromenade. Darum sind wir stolz auf den OB, der stets für ein gefülltes Stadtsäckel sorgt. Und: Bei uns machen sogar die Obdachlosen gute Geschäfte.

SUSANNE GANNOTT, 38, pendelt seit nunmehr fast eineinhalb Jahren täglich von Köln nach Düsseldorf zur taz. Weil ihr der notorische Anti-Düsseldorf-Reflex ihrer Kölner Mitbürger schon immer verdächtig war, hat sie die Landeshauptstadt während zahlreicher Besuche unter die Lupe genommen.

All dies als Argument für Düsseldorf zu nehmen, zeugt freilich von einem gerüttelt Maß an Kleinbürgergeist. Denn ist das der Inbegriff von Lebensqualität: eine Festanstellung bei Vodafone, ein Loft mit Rheinblick und abends Sushi mit Alt? Selbstredend will niemand in einer Stadt leben, in der alle am Hungertuch nagen. Aber sollte man die Frage, ob es sich an einem Ort leben lässt, primär daran messen, ob er einem ein erkleckliches Einkommen ermöglicht – plus diverse Möglichkeiten, das Geld wieder auszugeben?

Wer dies bejaht, mag für Düsseldorf votieren. Wer andere Kriterien in Anschlag bringt, etwa die Vielfalt der Lebensformen, Subkulturen und politisch-sozialen Gruppierungen, kurz: die Bedingungen der Möglichkeit von Revolte, der muss in die Ferne schweifen. Und zwar nicht ins „gemütliche“ Bonn, ins „aufregende“ Köln oder ins „radelnde“ Münster. Da hilft nur Berlin.

SUSANNE GANNOTT