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Archiv-Artikel

Roland Koch erhöht den Knuddel-Faktor

Zehn Monate vor der Landtagswahl in Hessen verliert die allein regierende CDU kräftig an Stimmen. In der SPD gibt man sich deshalb optimistisch, die Wahl gewinnen zu können. Der bisher beinharte Ministerpräsident kontert mit neuen sanften Tönen

AUS FRANKFURT AM MAIN KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Überraschung in Hessen: Nach einer Umfrage des Hessischen Rundfunks würde die Union bei den Landtagswahlen im Januar 2008 um knapp 11 Prozentpunkte auf nur noch 38 Prozent abrutschen. Die absolute Mehrheit wäre dahin. Im Gegenzug werden den Sozialdemokraten unter Andrea Ypsilanti unerwartet 34 Prozent der Wählerstimmen prognostiziert. Ein Zugewinn von fast 5 Punkten. „Das Rennen ist völlig offen“, frohlockte SPD-Generalsekretär Norbert Schmitt. Die Ausgangsposition für seine Partei sei „chancenreich“.

Alles „nur eine Momentaufnahme“, konterte der eloquente CDU-Generalsekretär Michael Boddenberg. Schließlich seien der Union in einer Forsa-Umfrage von Anfang März noch mehr als 40 Prozent prophezeit worden – und der SPD nur 27. Auch nach der neuesten Umfrage wollten immerhin noch 41 Prozent der Wählerinnen und Wähler Roland Koch weiter in der Staatskanzlei sehen – und nur 27 Prozent seine sozialdemokratische Herausforderin Ypsilanti. „Mit Blick auf die zu erwartende Personalisierung im Wahlkampf ist der große Vorsprung des Ministerpräsidenten ein ganz wichtiges Signal“, sagte Boddenberg, der auch von einer „Erfolgsbilanz der Landesregierung“ sprach.

Dagegen listen die Oppositionspolitiker genüsslich die Skandale der Union auf, mit denen sich in dieser Legislaturperiode gleich mehrere Untersuchungsausschüsse des Hessischen Landtags befassten – und noch befassen. Nach wie vor gehen SPD und Bündnisgrüne davon aus, dass Roland Koch versucht hat, die Freien Wähler (FW) mit Steuergeldgeschenken von der Teilnahme an der nächsten Landtagswahl abzuhalten. Der Grund: Zwar würden die Freien Wähler laut Umfragen bei der Landtagswahl scheitern, aber die vorausgesagten 4 Prozent der Stimmen für diese Gruppierung gingen wohl zu Lasten von Union und FDP. Die peinliche Schmiergeldaffäre bei der Polizei des Landes führen die beiden Oppositionsparteien auf ein „Aufsichtsversagen“ von Innenminister Volker Bouffier (CDU) zurück. Der jüdische Publizist Michel Friedman wurde von Polizisten beschützt, die gern Nazi-Lieder hörten. In diesem Fall habe der forsche Bouffier gleichfalls „keine gute Figur abgegeben“, kritisieren die Bündnisgrünen.

Deren Landesvorsitzende Kordula Schulz-Asche wirft Koch vor allem ein „Versagen in der Bildungspolitik“ vor: „Im Weltbild der CDU von Koch hat ein Schulsystem jenseits sturer Dreigliedrigkeit einfach keinen Platz.“ Alle Forschungsergebnisse der letzten Jahre würden von Koch und seiner Kultusministerin Karin Wolff (CDU) „konsequent ignoriert“. Ganz offenbar den größten Flop leistete sich die Regierung Koch mit der Einführung der so genannten Unterrichtsgarantie plus. Gegen den Ersatzunterricht von Hausfrauen und Rentnern für ausgefallene reguläre Schulstunden protestieren inzwischen viele Eltern, Lehrer und Schüler. Und auch die Einführung von Studiengebühren unter Umgehung der Landesverfassung sorgt für Unmut. Im Fokus der Kritik: Roland Koch. Ohne Rücksicht auf Verluste praktiziere der Ministerpräsident mit absoluter Landtagsmehrheit eine „skrupellose Politik nach Gutsherrenart“, monieren etwa die Grünen. Selbst die Freien Demokraten, die sich auf ihrem Parteitag Mitte März für eine Koalition mit der CDU ausgesprochen haben, halten den Politikstil von Koch inzwischen für korrekturbedürftig. Die Hessen dächten „mittig“, so Jörg-Uwe Hahn, gerade wiedergewählter Parteichef der FDP und Kopf der Landtagsfraktion. Und deshalb könnten Koch und seine CDU das Land nicht weiter regieren „wie die CSU Bayern“.

Die Botschaft scheint angekommen. Koch soll laut Plänen der Staatskanzlei ein Mann der Mitte werden. Der Mann, der gegen die doppelte Staatsbürgerschaft Unterschriften sammelte, lobt inzwischen Migranten für ihren Beitrag zum Wirtschaftswachstum. Er hat sich öffentlich sogar gegen den Leitkultur-Begriff ausgesprochen. Gemeinsame Überzeugungen müssten aus gemeinsamen Diskussionen kommen, sagte laut Spiegel ein ungewohnt sanfter Koch.

Generalsekretär Schmitt (SPD) sieht den Wandel zum Knuddel-Koch skeptisch. Der Mann stehe für „arrogantes Herrschaftsgebaren“. Die Wahl in zehn Monaten wird also ein Lackmustest für Roland Koch. Hält er Hessen, bleibt er auch ein potenzieller Kanzlerkandidat. Fällt Hessen an SPD und Grüne, ist Koch Oppositionsführer im Landtag – oder Privatier.