ZWISCHEN DEN RILLEN
: Ein Rohdiamant aus dem Kongo

„The Karindula Sessions“, DVD + CD (Crammed Discs/Indigo)

Musik aus dem kriegsgeschütteltem Land in Zentralafrika haben wir immer wieder dem umtriebigen Label Crammed Discs aus Brüssel zu verdanken. Seit vielen Jahren sorgen Marc Hollander und sein Team dafür, dass kongolesische Sounds überhaupt bis in unsere Breitengrade hallen und auch in vermeintlich afrofernen Musikszenen gehört und geschätzt werden. Prominenteste Beispiele sind Staff Benda Bilili mit ihrer vibrierenden Rumba Congolese, die als Dokumentarfilm sogar in Cannes zu sehen waren, oder Konono No. 1, die kürzlich erst mit ihrem elektronisch verstärktem Roots-Techno im Berliner Berghain gastierten.

Der Musikstil von Gruppen wie Konono No.1 oder den Kasai Allstars ist als Congotronics bekannt geworden und hat weltweit Fans gefunden. Wie inspirierend Congotronics für viele Musiker ist, zeigt die kürzlich veröffentliche Doppel-CD „Tradi Mods vs. Rockers“, auf der experimentelle Popbands wie Animal Collective und Elektroniker wie Burnt Friedman Songs überarbeiten, covern und neu komponieren. Wer hier mit der Schublade Weltmusik kommt, ist in der tauben Vergangenheit hängen geblieben.

Produzent, A&R und Kongo-Korrespondent seit den Anfängen von Crammed Discs ist der belgische Musiker Vincent Kenis. Kenis hat Congotronics produziert und auf seinen Reisen in den Kongo schon in den 80er Jahren von Karindula gehört, der von traditioneller Musik beeinflussten modernen Musik aus dem Südosten des Landes. Letztes Jahr hatte er über Kontakte vor Ort kurzfristig die Chance, nach Lubumbashi, der zweitgrößten Stadt nach Kinshasa, zu reisen und Aufnahmen zu machen.

Vor versammelter Nachbarschaft haben vier Karindula-Gruppen aus der Vorortgegend der Millionenmetropole spontan drei Tage lang für Kenis gejammt. Die Dokumentation dieses kleinen Festivals ist jetzt als „The Karindula Sessions“ bei Crammed Discs als DVD und CD erschienen.

Im Film sieht man vor allem Kinder, aber auch viele Erwachsene und ältere Menschen sitzen und stehen dicht an dicht, es wird mitgesungen, ein paar trauen sich auf den staubigen Dancefloor vor den Musikern. Die Aufnahmesituation ist rudimentär, man sieht einen Laptop, viele Kabel und die Hightech-Mikros – der Strom kommt von einem mitgebrachten Generator. Strom aus der Nachbarschaft gab es nicht und damit auch keine Aufnahme bei Nacht, die Kenis gerne gemacht hätte, um noch mehr in den tranceartigen Sog der Musik einzusteigen.

Wichtigstes Instrument ist die namensgebende Karindula, ein mannshohes Banjo. Die Karindula besteht aus einem Ölfass bezogen mit Ziegenhaut, vier Seiten und einer leeren Milchpulvertüte hinter den Seiten, die den Sound des Banjos summen und schwirren lässt. Darüber erheben sich die eindringlichen Chants der Sänger und des Publikums im Call-Response. Auch wenn sie normalerweise auf Beerdigungen gesungen werden, heißt es, dass Karindula-Texte für ihre rebellischen und provokativen Inhalte berüchtigt sind.

Was davon im Booklet übersetzt ist, handelt von Alltagsweisheiten, Grüßen und Aufforderungen zum Tanz. Kenis vermutet, dass aus Rücksicht auf die Kinder auf provokative Inhalte verzichtet wurde. Mit Trauer hat diese Musik nur im weitesten Sinne zu tun – warm, involvierend und voller Energie wird hier das Leben gefeiert. Sehnsucht ist das Gefühl, das sich einstellt, auch wenn man die Texte nicht versteht und die Augen schließt.

Sind die Augen aber geöffnet, fesseln einen an den Filmbildern vor allem die Tänzer mit ihrem stakkatohaften Schütteln der Hüfte in der Hocke. Das Publikum wird mit akrobatischen Einlagen unterhalten und sich lustig gemacht über Anwesende. Die Musiker sind lokale Helden und werden als solche gefeiert. Von den Auftritten können die Musiker – die meisten sind unter dreißig und Veteranen des Bürgerkriegs – nicht leben.

Karindula ist „Low class“-Musik, so Kenis: „Deswegen wird man Karindula-Gruppen nur sehr selten bei reichen Partys erleben. Ganz im Gegenteil zu den Rumba-Truppen.“ Die Rumba hat eine lange Tradition im Kongo, und Musiker wie Papa Wemba, mit dem Kenis auch schon gespielt hat, oder die Kombo Kekele genießen internationale Aufmerksamkeit.

Für kongolesische Musik ist das immer noch eine Besonderheit, was nicht zuletzt an der extremen Armut, den nicht endenden wollenden Konflikten, der Korruption und damit an vielen Hürden für den musikalischen Tourismus und Export liegt. Auch vor Ort ist Karindula, so Kenis, „ein Ding der Vergangenheit. Abgesehen von den vier Gruppen wird es nicht mehr viele geben.“ Umso mehr gilt Vincent Kenis und seinen Kollegen Respekt gezollt. Wer „The Karindula Session“ hört, wird es ihnen danken. EMILY THOMEY