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Archiv-Artikel

Ausbildung schöngerechnet

Die Industrie- und Handelskammer jubelt: Jeder Bewerber bekommt dieses Jahr eine Lehrstelle oder eine Qualifizierungsmaßnahme. Die Gewerkschaft hält aber viele Angebote nur für Warteschleifen

Es hätte alles so schön sein können. Hätte man nicht so genau hingeschaut. Wie die Industrie- und Handelskammer (IHK) mitteilt, sehe es auf dem Markt für Ausbildungsplätze außerordentlich gut aus. Die Wirtschaft werde dieses Jahr jedem ausbildungsfähigen und -willigen Bewerber ein Angebot unterbreiten. Ende März bildeten 1,8 Prozent mehr Unternehmen als im Vergleich zu 2006 aus, die Zahl der Lehrstellen sei im gleichen Zeitraum um 1,4 Prozent gestiegen – die IHK sieht sich wie im letzten Jahr auf Rekordkurs.

„Mit der Berliner Wirtschaft geht es spürbar voran, und dies macht sich auch auf dem Ausbildungsmarkt bemerkbar“, sagte IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder. Der Unternehmerverband prognostiziert dem Berliner Bruttoinlandsprodukt 2007 ein Wachstum von 2 Prozent.

Beim genaueren Hinsehen relativiert sich dieses euphorische Bild allerdings schnell. Denn nicht alle Angebote, die den Bewerbern gemacht werden, sind auch wirklich betriebliche Ausbildungsplätze. Oft handelt es sich dabei um Einstiegsqualifizierungen (EQJ). Das sind sechs- bis zwölfmonatige Betriebspraktika, deren Kosten von der Agentur für Arbeit übernommen werden. Eine berufsvorbereitende Maßnahme, die in der Vergangenheit schon als „Abstellgleis“ oder „Warteschleife“ für Berufsanfänger bezeichnet wurde. Denn oft landen in den EQJ diejenigen Bewerber, die bei den jährlichen Qualifizierungstests der Agentur für Arbeit als „schwer“ oder sogar „nicht ausbildungsfähig“ eingestuft werden. „Das sind stolze 45 Prozent der Testteilnehmer“, bestätigt Holger Lunau, Pressesprecher der IHK.

Eine Zahl, die viel zu hoch sei, sagt hingegen Marco Steegmann vom DGB Berlin-Brandenburg. Er glaubt, dass deswegen viele junge Menschen so niedrig eingestuft werden, um sie in der EQJ unterbringen zu können – von denen gibt es mehr als betriebliche Ausbildungsplätze. „Auch im Abgleich mit den Ergebnissen der Pisa-Studie halte ich diese Gruppe für nicht größer als 15 Prozent.“ Für die anderen gebe es bloß keine Lehrstellen. So falle auch das breite Mittelfeld – wie schlechte Abiturienten und Realschüler – durch. Denn für sie komme weder eine EQJ in Frage, noch fänden sie einen Ausbildungsbetrieb.

Der DGB bekräftigte zuletzt Ende März seine ablehnende Haltung gegenüber den Qualifizierungsmaßnahmen. „Maßnahmekarrieren öffnen jungen Menschen keine Zukunftsperspektive, sondern sortieren sie weg“, so Doro Zinke, stellvertretende Vorsitzende des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg.

Mit den EQJ gebe es aber eine Berufsperspektive, findet Lunau: „Etwa zwei Drittel der Jugendlichen in einer EQJ profitieren vom Klebeeffekt und werden übernommen“. So können sie wenigstens verspätet eine Lehre beginnen. KATHRIN SCHRECK