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Archiv-Artikel

Aufstieg ins Mittelmaß

Ein neues Familienbild, andere Arbeitszeiten und besser ausgestattete Kitas fordern ExpertInnen auf einer CDU-Fachtagung zur Unicef-Kinderstudie. Die CDU kam nicht gut weg dabei

von Jan Zier

Es klingt wie eine Drohung, was Hans Bertram sagt, gerade für Bremen, auch für die CDU. „Das steht Ihnen jetzt Jahr für Jahr ins Haus“, sagt der Autor der kürzlich veröffentlichten Unicef-Studie zur Situation der Kinder in den Industriestaaten. Kein anderes Bundesland schnitt dabei so schlecht ab wie Bremen: Hier sind die Kinder besonders armutsgefährdet, gesundheitlich mangelhaft versorgt und stark benachteiligt, wenn es um Bildungschancen geht.

Den Einwurf, es fehle am Geld, mag der Professor für Mikrosoziologie der Berliner Humboldt-Universität nicht gelten lassen. Allein in den vergangenen acht Jahren habe der Staat infolge sinkender Geburtenzahlen 2,5 Milliarden Euro an Kindergeld gespart, sagte Bertram gestern bei einem Fachtag der CDU in der Bürgerschaft. „Mit diesem Geld wäre möglicherweise schon viel gewonnen gewesen.“

Doch es geht um mehr als Geld: „Wir haben viel zu lange geglaubt, dass neben der Schule vor allem die Eltern für die Erziehung zuständig sind“, sagt Bertram und fordert eine bessere Jugendhilfe ein, eine Stärkung der „Gemeinschaft neben der Familie“. Ein Hinweis auch an das Familienbild der CDU – den Ilse Wehrmann, Abteilungsleiterin beim Landesverband Evangelischer Kindertageseinrichtungen gerne aufnimmt. Sie kritisiert das „antiquierte Mutterbild“ der Konservativen. CDU-Spitzenkandidat und Bürgermeister Thomas Röwekamp muss klein beigeben: Vielen Eltern fehle die Erziehungskompetenz, während viele in der CDU noch immer dächten, die „beste Erziehung“ finde „zu Hause“ statt.

Vom Bundesland wie kommunalen Arbeitgeber Bremen forderte Bertram eine „Fülle von neuen Zeitmodellen“ ein – und kritisierte die soeben von der Großen Koalition in Bremen in Kraft gesetzten erweiterten Ladenöffnungszeiten. „Kinder sind nicht so flexibel wie die Wünsche der Arbeitgeber.“

Uneins waren die ExpertInnen bei der Frage eines verpflichtenden dritten Kindergartenjahres. Während sich Wehrmann für einen zwar beitragsfreien aber verbindlichen Kindergartenbesuch für alle Über-Dreijährigen stark machte, gab sich Bertram bei der Frage nach dem Zwang skeptisch: Man müsse auf mehr Qualität setzen, so sein Credo – dann kämen die Kinder von ganz allein: In Nordeuropa würden teilweise fast alle Eltern ihre Kinder in den Kindergarten schicken, obwohl dessen Besuch freiwillig sei. In Bremen wiederum, sagt Wehrmann, sind es bei den Fünfjährigen gerade mal 88 Prozent. Auch bei der Ausstattung mit gut ausgebildeten MitarbeiterInnen sei Bremen „weit entfernt“ vom internationalen Niveau. Während anderswo auf eine pädagogische Fachkraft mit Hochschulausbildung acht bis zehn Kinder kämen, seien es in Bremen sogar 20. Zugleich würden Ganztagesplätze gerade dort „systematisch abgebaut“, sagt Wehrmann, wo sie am dringendsten gebraucht würden: in Gröpelingen etwa, in der Vahr, oder in Lüssum.

„Ich wäre total stolz auf diese Partei“, sagt Wehrmann abschließend, wenn es Bremen gelänge, künftig zumindest ins Mittelmaß aufzusteigen. Auf sehr viel mehr macht auch Bertram keine Hoffnung: Seine Expertise stellt er mit den Worten vor: „Deutschland ist halt Mittelmaß – wie das immer so ist.“