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Archiv-Artikel

„Ein Akt der Gewalt“

DOKU Der Film „Von der Beraubung der Zeit“ zeigt durch Interviews die Brutalität von Gefangenschaft

Von JPB
Daniel Poštrak

■ 35, Grafiker und Filmemacher aus Köln. „Von der Beraubung der Zeit“ ist sein erster Langfilm, er hat ihn mit Jörn Neumann zusammen gemacht. Infos: www.field-recordings.de/start.

taz: Herr Poštrak, wie viele Jahre an Gefangenschaft kann ein Mensch aushalten?

Daniel Poštrak: Ich werde einen Teufel tun und eine Lanze für die Haft brechen. Die Idee unseres Film war es, den zeitlichen Freiheitsentzug zu problematisieren, also dass man die Zeit eines Menschen fremdverwaltet. Es geht um die Institution Gefängnis an sich. Wenn wir über die Sinnhaftigkeit von Haft sprechen, dann stellt sich Ihre Frage nicht. Manche Menschen kommen mit langer Haftzeit besser zurecht, andere zerbrechen daran nach kurzer Zeit.

Wie lange müssen die Gefangenen, die Sie in Ihrem Film interviewt haben, noch einsitzen?

Bei einem der drei hat die Lockerungsphase begonnen, er wird bald das Gefängnis verlassen können. Die beiden anderen haben keinen Termin, einer ist in Sicherungsverwahrung. Theoretisch könne er im Gefängnis sterben, sagt er auch im Film. Der andere verbüßt eine lebenslange Strafe. Er wurde 1977 in der DDR inhaftiert und kennt die BRD nur aus dem Fernsehen.

Haben die Besuche im Gefängnis und der Kontakt zu den Gefangenen bei Ihnen etwas verändert?

Es waren nicht die ersten Menschen, die ich in Haft besucht habe. Aber klar, es entwickelt sich eine persönliche Ebene, sie werden zu mehr als nur den Filmprotagonisten. Wir besuchen sie auch weiterhin und berichten etwa auch von den Reaktionen des Filmpublikums. Es war jedes Mal ein komisches Gefühl, in die Zelle zu gehen, ein Interview zu führen und nachher wird hinter einem wieder abgeschlossen und die Person bleibt da.

In Ihrem Film verzichten Sie auf eine deutliche Kommentierung. Würden Sie ihn als „politisch“ bezeichnen?

Auf jeden Fall. Er will ein gesellschaftliches Verhältnis sichtbar machen, das in der Regel unsichtbar bleibt und bleiben soll – obwohl das Gefängnis sehr wirkmächtig ist. Es bestimmt unser Leben. Das hinterfragen wir kritisch.

Der Titel nennt die „Beraubung der Zeit“ – ein Verbrechen der Gesellschaft an den Gefangenen?

Einem Menschen die Verfügung zu nehmen, seine eigene Zeit gestalten zu können, ist nicht lapidar. Das ist ein Akt der Gewalt. Eine Gesellschaft muss sich darüber bewusst werden, wenn sie sich auf Haft als Mittel beruft. INTERVIEW: JPB

20 Uhr & 20.30 Uhr,

City 46, Birkenstraße 1. Anschließend: Diskussion mit den Regisseuren