: Der deutsche Charakter der Dinge
WAREN Vor 100 Jahren machte auch der Deutsche Werkbund mobil. Eine Ausstellung im Museum der Dinge zeigt, wie der Verein am Vorabend des Ersten Weltkriegs die Exportfähigkeit des Deutschen Reichs beförderte
1914 präsentierte der Deutsche Werkbund erstmals einem internationalen Publikum eine groß angelegte Bestandsaufnahme seiner Arbeiten im Bereich der Produktkultur und Architektur. Die Ausstellung im Museum der Dinge weist mit ihren Exponaten und Installationen vor allem auch auf die damaligen nationalökomischen Werbe- und Markenstrategien hin.
■ „Made in Germany – Politik mit Dingen“: Werkbundarchiv – Museum der Dinge, Oranienstraße 25, ab 25. September, Eröffnung: 24. 9., 19 Uhr
VON HELMUT HÖGE
In dem Maße, in dem der Natur nicht mehr die gesellschaftliche Gemeinschaft gegenübertritt, sondern der Vereinzelte – als Privatarbeiter –, findet die Vergesellschaftung über den Austausch ihrer Waren statt. Aber dieser soziale Zusammenhang ist rein abstrakt: Im Warentausch ist der Akt gesellschaftlich, aber die beiden Mentalitäten bleiben privat; mit den Worten des marxistischen Erkenntnistheoretikers Alfred Sohn-Rethel: „Die Funktion der Vergesellschaftung hängt am reinen Abstraktionscharakter des Tauschaktes. Alles Konkrete befindet sich dagegen in privaten Händen.“ Das sind die als Ware erworbenen Dinge. Und die Dingpolitik besteht darin, alles auf der Welt in Ware zu verwandeln.
Kürzlich hielt der amerikanische Kapitalismusverbesserer und Regierungsberater Jeremy Rifkin einen Vortrag über deren Zukunft. Er sah sie bereits deutlich vor sich: In Form einer „globalen Digitalkommune“. Analog zu Friedrich Engels’ Sicht auf die Konzentration der großen Industrie in immer weniger Aktienkonzerne, die dann quasi automatisch in den Sozialismus (als eine konkrete Vergesellschaftung) umkippen werde. Irgendwann, geht Rifkin von den Computerkäufern und Netzwerk-Usern aus, würden diese sich zusammenschließen, sich ihrer Macht bewusst werden und ihre Rechte erkämpfen – so wie vor ihnen die „Fabrikarbeiter der industriellen Revolution“. Die allerdings bis heute ihre Kämpfe immer verloren haben! Und was sollen überhaupt ihre „Rechte“ (gewesen) sein?
Vor 100 Jahren – am Vorabend des Ersten Weltkriegs – machten nicht nur die in Deutschland Herrschenden mobil, sondern auch der Deutsche Werkbund – nämlich die in Deutschland hergestellten Dinge. „Made in Germany“ – einst ein von englischen Industriellen aufgezwungenes Schandmal, um die in Deutschland hergestellten „Dinge herabzustufen – sollte zu einem „Gütesiegel“ für Qualität werden – und zwar weltweit! Zu diesem Zweck eröffnete der Werkbund 1914 in Anwesenheit des Kaisers eine große Ausstellung über allerlei „Erscheinungen der Warenkultur, Werbe- und Markenstrategien, wie sie sich in Produktverpackungen und Schaufenstergestaltungen niederschlagen“.
Das heutige Werkbund-Archiv, das ein „Museum der Dinge“ unterhält, spricht in der Ankündigung seiner Erinnerungs-Ausstellung „Made in Germany – Politik mit Dingen“ davon, dass das Kriegsjahr 1914 zur „Geburtsstunde der Moderne“ wurde. Die amerikanische Kunsthistorikerin Joan Campbell hatte die imperialistischen Werkbund-Dinge 1978 bereits scharf angegriffen: Sie waren ihrer Meinung nach nicht nur ein „idealistischer Versuch einer breiten Geschmacksbildung oder eine reine Verkaufsstrategie, sondern auch ein patriotisch motivierter Versuch, einen neuen Nationalstil zu etablieren und eine kulturelle Hegemonie in Europa durchzusetzen“. In Bezug auf die Dinge würde das bedeuten, dass sich damals die ersten Objektstrategien aus dem Getümmel der Subjekte herausmendelten.
Die von Jean Baudrillard erstmalig dingfest gemachten „Objektstrategien“ hat jüngst der Wissenssoziologe Bruno Latour zu einer neuen „Dingpolitik“ weiterentwickelt: Wenn es die Objekte (Aktanten) sind und nicht die Subjekte (Akteure), die handeln, dann gehört ihnen mindestens – so wie auch allen nichtmenschlichen Lebewesen – Sitz und Stimme an unseren runden Tischen. Also Mitbestimmung für alles Verdinglichte.
Zwar ist es heute nicht mehr der Werkbund, der als formgebendes Vorbild wirkt, aber man versteht, warum das Schreckliche am Ersten Weltkrieg ist, dass er bis heute fortbesteht. Vor 1914 war es im Werkbund noch zu scharfen „Debatten“ gekommen, nicht um „Krieg und Frieden“ (der Menschen), sondern um den deutschen Charakter der Dinge, die da als neue Aktanten/Akteure sich global durchsetzen sollten (was einigen ja auch nachhaltig gelang).
Die „zentralen Wortführer“ der damaligen Zeit waren der Architekt und preußische Diplomat Hermann Muthesius und der belgische Architekt und Gestalter Henry van de Velde. Ersterer ging davon aus, „dass die vom Werkbund angestrebte sachliche Formgebung, Produktqualität und der internationale Erfolg der deutschen Produktkultur nur auf der Basis einer Typisierung und Standardisierung im Entwurf der Produkte“ zu erreichen sei, was bedeute: „Überführung des Individualistischen ins Typische.“ Henry van de Velde betonte demgegenüber die „individuelle künstlerische Freiheit“. Er wurde dann auch Pazifist. Der englische Kulturhistoriker Frederik Schwartz sieht im Werkbund einen deutschen Interessenverband, der hellsichtig die „potenzielle Kakofonie“ der Dinge „zum Schweigen und das Chaos der Moderne unter Kontrolle“ bringen wollte. Aber sehen Sie selbst!